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Sonne, See und Monde

Wenn es um deutschsprachige Phantastik geht, versuche ich, meine Antennen überall zu haben und darum notierte ich mir irgendwann einmal den Namen Clemens J. Setz.

Nun ergab sich die Möglichkeit den Autor kennenzulernen, da er ein neues Buch mit dem Titel »Monde vor der Landung« veröffentlichte, in dem es um einen Vertreter der Hohlwelt-Theorie geht. Also Buch im Otherland gekauft und heilfroh herausgefunden, dass ich die Lesung von ihm im LCB noch nicht verpasst hatte.

Mein bester Freund hatte auch Zeit, die Sonne kam im Laufe des Tages heraus und so tuckerten wir quer durch die Stadt zum Wannsee. Allzu oft seh’ ich das LCB gar nicht im Hellen, da ich irgendwie meist im Herbst und Winter hierher komme.

Das Literarische Colloquium Berlin am Wannsee

Der Saal war bereits fast voll, als wir ankamen – auch keine allzu häufige Erfahrung, zudem recht viel junges Publikum.

Clemens J. Setz und Kathrin Passig

Die Veranstaltung wurde als Fortsetzung eines Gespräches zwischen der Autorin Kathrin Passig und Clemens J. Setz beworben und man spürte die engere Bekanntschaft der beiden in den Fragen und Kommentaren. Von Kathrin Passig hab’ ich noch nichts gehört oder gelesen, sie plauderte aber angenehm ruhig und sachlich mit dem Wiener, der Roman, Figuren und Werkgeschichte sehr fröhlich und munter vorstellte. Setz präsentierte sich als routinierter Vorleser, der mit seinen Texten seit Jahren erfolgreich durch die literarische Szene flaniert.

Er mag sein Buch

Was uns einen amüsanten Abend bescherte, den wir mit Wein und Sonnenuntergang, mit Blick auf den Wannsee, komplettierten.

Wein am Wannsee

Ob ich das Buch lese, weiß ich noch nicht genau, das Phantastische dürfte minimal sein und zudem spielt das Ganze wieder einmal zur Nazizeit, aber andererseits sollte der Autor schreiben können und der Abend versprach auch eine spannende Auseinandersetzung mit der Figur. Interessant dürfte auch sein herauszufinden, warum Setz Benders Frau als eigentliche Protagonistin bezeichnete und warum er sie dann doch nicht dazu machte.

Charisma pur: Clemens J. Setz

Nun, bald ist Urlaubszeit, vielleicht landet dann der Setz ja neben Jules Verne im Koffer, der aufgrund des Urlaubszieles gesetzt ist. Was mich vielleicht dazu verführen könnte, passenderweise »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde« auszuwählen.

Natürlich holte ich mir eine Signatur

Knöpfchendruck und Button-Club

Die Auswahl meiner Lektüre geschieht oft sehr spontan. Als Mary Robinette Kowal im Programm des Metropol Cons auftauchte, dachte ich: Oh, Du wolltest da doch dieses Buch von ihr lesen! Aber erst als auch das Otherland ihren Besuch ankündigte, griff ich zur Tastatur und orderte den ersten Band der Lady-Astronaut Reihe, »Die Berechnung der Sterne«.

Und gerade so auf dem Hinweg zum Abend mit der Autorin im Otherland beendete ich die Lektüre. Vor der Lesung traf ich mich mit Markus Mäurer, der just für den Metropol Con anreiste und prompt in die aufregenden Abenteuer des öffentlichen Nahverkehrs geriet. Gestärkt und voll mit neuen Lektüretipps ging es zu Mary Robinette Kowal ins Otherland.

In »Die Berechnung der Sterne« geht es um eine junge Frau, die im zweiten Weltkrieg als Pilotin für die US Air Force Flugzeuge transportierte. Während eines Schäferstündchens mit ihrem Mann 1952 in den Bergen östlich Washingtons schlägt ein Meteorit vor der Küste ein und verändert das Leben der gesamten Menschheit. Und für Elma eröffnet sich ein Weg, den Frauen selbst in der realen Welt kaum eröffnet, ein Weg, der zu den Sternen führt.

Besonders die Diskriminierung von Frauen und People of Colors thematisiert Mary Robinette Kowal in ihren Werken, kein Wunder, dass diese Themen auch während des Gesprächs im Otherland diskutiert wurden. Zuvor servierte sie uns aber eine Kostprobe ihrer deutschsprachigen Fähigkeiten, in dem sie aus dem ersten Band der deutschen Übersetzung vorlas und schnell abbrach um auf die englische Fassung zurückzugreifen.

Nicht aber ohne auf die tolle Übersetzung Judith Vogts zu verweisen, die auch ich dufte finde.

Danach feierte ein Ausschnitt aus dem vierten Band Vorlesepremiere, den sie gerade erst vor ein paar Tagen beendet hat.

Mary Robinette Kowal ist professionelle Audiobuch-Sprecherin, was man ihrer Darbietung auch anmerkte. So sprach sie Elma und ihren Mann Nathaniel in unterschiedlichen Dialekten und Nathaniel hab ich prompt auch gar nicht verstanden.

Mary Robinette Kowal inszeniert ihre Lesung gekonnt

Für die Audioaufnahmen ihrer eigenen Bücher verwendet sie übrigens Rohfassungen, was ihr hilft, die Texte noch einmal zu verbessern.

Wie sie im Gespräch erwähnte, dienten ihr Nora und Nicholas Charles aus der Krimi-Reihe »Der dünne Mann« als Vorbild für die beiden Yorks, in fünf Filmen gespielt von Myrna Loy und William Powell.

Wolfgang und seine Gästin

Durch den Abend führte wie gewohnt begeistert und charmant Otherlander Wolfgang Tress und so ging es bald um Frauen in der SF und die Veränderungen in der Szene über die vergangenen Jahre. Zufällig saß Mary Robinette Kowal direkt neben dem Regal in dem die zweibändige Anthologie »The Furure is Female« stand, die sie als besonders inspirierend zum Thema empfand und uns dringend ans Herz legte. Wolf konnte die Bände dann auch gleich aus dem Fach angeln – ich muss wohl kaum erwähnen, dass das Otherland einfach die coolste Buchhandlung der Stadt ist.

The Future is Female!

Zum Abschluss wurde dann auch nach ihrer Katze gefragt und plötzlich eröffnete sich ein weiterer Parallelkosmos, denn Mary Robinette Kowal nutzt ein Buttonboard zur Kommunikation mit ihrem Haustier, was sich definitiv als eine Quelle unendlicher Anekdoten und Geschichten erwies.

Zwar interessiert mich auch oft, was unsere Vierbeiner denken, aber sehr oft auch nicht.

Wieder ein toller Abend und ich bin ganz froh, die Gelegenheit genutzt zu haben, Mary Robinette Kowal im Otherland zu erleben, denn tatsächlich sah ich sie tags darauf auf dem Metropolcon nur aus der Ferne.

Eine kleine feine Signatur von Lady Astronaut

So aber holte ich mir eine Signatur fürs Buch und einen Button des Lady-Astronaut-Clubs für meine Umhängetasche. Zwar werde ich erst einmal keine der Fortsetzungen von »Die Berechnung der Sterne« lesen, behalte das Buch aber als lesenswert und vor allem Tränen treibend in Erinnerung.

Kaskadierender Horror und die Intelligenz der Kunst

Pünktlich zur Leipziger Buchmesse erschien der zweite Kaskade-Band »De Profundis« von Michael Marrak und nur wenige Tage später präsentierte der Autor das Buch stolz im Berliner Otherland.

Nach verstörenden Erlebnissen mit den Pollern der Bergmannstraße musste der Autor erst einmal kurz verschnaufen, Gelegenheit für Buchhändler Wolfgang Tress, auf das wieder prall gefüllte Programm des Ladens zu verwesen, das gefühlt täglich mit Highlights glänzt und so das Corona-Loch vergessen lässt.

Wolfgang Tress offenbarte die nächsten Otherland-Pläne

Dann konnte es losgehen mit dem neuesten Marrak-Werk. Natürlich war auch Verleger Hardy Kettlitz anwesend, der sich gleich mal bei meiner Liebsten unbeliebt machte, als er auf die Existenz von Stammplätzen verwies. Ich hoffe sehr, dass ihr Unmut keinen Einfluss auf den künftigen Bucherwerb aus dem Memoranda-Programm hat.

Hardy Kettlitz, Michael Marrak und die Wall of Bottles

Dem Abend selbst schadete das zum Glück jedoch nicht.

Michael Marrak begann kurz mit der Erklärung, warum es überhaupt zu einem zweiten Band des Romans kam. Die ersten vierzig Kapitel entstanden vor ein paar Jahren auf Anfrage eines Major-Verlages unter dem Titel »Kaskade«. Nach wirtschaftlichem Umbau des Verlages und Tod des Verlegers wurde aus einer Veröffentlichung jedoch nichts und das Manuskript landete zunächst als ungeliebter Scheiterhaufen in der Versenkung.

Erst durch die beiden Storybände, erschienen in Hardys Memoranda Verlag, bekam Micha wieder Lust auf den Text, der zunächst eher als etwas dreckiger Krimi begann und zunehmend phantastischer wurde. Was den Umfang wachsen ließ und so musste der Text gesplittet werden, um den bereits angekündigten Erscheinungstermin von »Lex Taleonis« halten zu können.

Das führte dann auch bei einigen Lesenden zu Verärgerung, da der Band mitten in einem Flashback, sehr abrupt endet.

Nun aber ist Band 2 draußen und Micha las uns ein paar Stellen aus dem Anfang des Romans vor. Es bleibt weiterhin spannend, phantastisch und mysteriös. Und es gibt ein echtes Ende.

Michael ganz modern mit klimaneutraler Leseunterstützungstechnologie

Für Nerds wie mich spendiert der Verlag eine Sonderausgabe, die unter dem ursprünglichen Namen »Kaskade« beide Teile in einem Buch vereint. Dann werde ich das Werk auch komplett von Anfang lesen, da mir nach der Zeit nicht mehr wirklich alle Details im Kopf sind, was bei Krimihandlungen schon ungünstig ist.

Im Anschluss wurde Micha natürlich noch mit Fragen überhäuft. So erfuhren wir etwas mehr über seinen in Arbeit befindlichen SF-Roman, der auf der Kurzgeschichte »Insomnia« beruhen soll und plötzlich befanden wir uns in einer sehr emotionalen Diskussion zum Thema KI und Kreativität.

Besonders Timo Kümmel, über dessen Anwesenheit ich mehr sehr freute, mag ich doch seine Arbeiten seit langem, hat da für die Zukunft große Bauchschmerzen, da er als Grafiker und Covergestalter von der Masse künstlich generierte Bilder besonders betroffen ist.

Es ist eine Technologie, deren Einfluss auf unser Leben noch nicht in Gänze abzusehen ist. Inwieweit wird es unsere menschliche Kreativität behindern? Wird die Konkurrenz uns vielleicht sogar inspirieren? Welche Opfer wird es und kosten?

Ein überwältigender Veränderungsprozess läuft da gerade ab, der uns neben all den Krisen zusätzlich durchrüttelt, nicht nur an solch phantastischen Abenden im Otherland.

Der Sommer singt noch aus der Ferne

Stella Sommer endeckte ich als Sängerin der Band Die Heiterkeit, deren Album »Pop & Tod I / II« in meiner SPEX-Lesezeit in Hirn und Ohren krachte.

Die Stimme ist so einzigartig, dass ich ihr nun auch in die Solokarriere folgte. Ihr neues Album »Silence Wore A Silver Coat« bespielt sie komplett in englisch und für mich ist es, trotz vieler schöner Songs, nicht so die richtige Entscheidung, weil mir gerade die deutschen Texte von Die Heiterkeit sehr wichtig sind. Im Zwiespalt, Die Kälte oder Schlechte Vibes im Universum sind einfach Lieder, die sich festgekrallt haben.

Aber die Künstlerin geht ihre eigenen Wege und so folg’ ich, soweit ich mag. Am Mittwoch präsentierte sie ihr Album im Heimathafen Neukölln, leider erst um 21 Uhr, was werktags doch arg spät ist.

Der Heimathafen liegt direkt am U-Bahnhof Karl-Marx-Straße, war früher als Rixdorfer Ballsaal bekannt und lange Zeit ein Theater, was man im Innenraum noch deutlich sieht. Aber als kleine Clubbühne ist er perfekt.

Martha Rose

Bandmitglied Martha Rose bestritt eine Einstimmungsrunde, sehr sympathisch präsentiert, aber nicht ganz mein Geschmack und so begann das eigentliche Konzert erst kurz vor zehn, sodass wir nur knapp eine Stunde bleiben konnten.

Multiinstrumentalist·innen bestimmen das Gesicht der Band

Zu Beginn war es auch ein super Konzert, aber dann zeigten sich Stimmprobleme bei Stella, sie wirkte mega-nervös und mir tat es selbst weh, ihr dabei zuzusehen, wie sie mit den Schwierigkeiten haderte. Letztlich war es ganz gut, dass wir früher gehen mussten.

Stella Sommer

Wie ja auch damals beim Die Heiterkeit-Konzert im //:about blank , dass jetzt durch die bekloppte CDU-Autobahn bedroht ist, aber da strichen wir die Segel, weil der Saal völlig mit Grasnebel zugezogen war und unsere Mägen rebellierten.

Aber uns bleiben ja die Platten, die CDs und ein baldiger Sommer.

Familie is knorke

Ein milder Februarabend lud am Samstag zu fröhlicher Familienunterhaltung ein. Was könnte dafür besser geeignet sein, als mit Freunden und Nachwuchs zu einer Knorkator-Sause in die Columbiahalle einzukehren?

Knorkator begleiten uns nun schon seit Jahrzehnten und tatsächlich erschien auch gerade das zehnte Studio-Album der Köpenicker Lokalkapelle. Spätestens nach dem dritten Hören hatten sich etliche der Songs im Hirn festgekrallt und da sie meist mitgröhlfreundlich geschnitten sind, fällt es nicht schwer, über das Event hinweg heiser zu werden.

Wir erschienen pünktlich wie die Zauberer

Vor Beginn des Konzertes wurden auf einer Video-Leinwand diverse Songeinlagen der Muppet Show gezeigt, was sich zu einem grandiosen Finale steigerte: Muppets und Publikum schwelgten in der Bohemian Rhapsody von Queen, ein mittlerweile weltweit von Bands praktizierter Aufwärmmechanismus, nur meist ohne Muppets.

Sodann erklommen The Hirsch Effekt aus dem fernen Hanover die Bühne und Lautsprecher und bliesen zum gutturalen Hallihallo.

The Hirsch Effekt

Knorkator dann präsentierten sich in wilder Spiellaune und ich bin starr vor Ehrfurcht, dass Stumpen am zweiten Abend hintereinander auf der Bühne herumtollt, als gäbe es kein Alter.

Da brennta wieda: Stumpen

Aber er konnte sich zumindest gesangstechnisch immer wieder ausruhen, da seine krass groß gewordene Tochter Agnetha mit irrer Stimme etliche Parts übernahm und etwa Nach Unten allein bestritt. Sie saß zudem die meiste Zeit auf der Bühne und spielte die Gelangweilte, sang aber bei sehr vielen Songs mit.

Stumpen und Agnetha

Auch Alfs Nachkomme Tim Tom durfte mitwirken, zunächst als Besenschwinger und dann bewies er, dass er diverse Stimmlagen in Deathmetalsound beherrscht und auch Böse ist.

Vorne Tim Tom, hinten Buzz Dee

Knorkator sind eben eine Familienband für die gesamte Familie. Es kamen natürlich jede Menge Hits, aber auch ein schöner Querschnitt aus dem neuen Album. Wer zu Knorkator geht, bekommt ein fröhliches Durchpusten von Hirn und Ohren, sowie wunde Füße.

Die Kapelle. Aus Köpenick!

Außer Stumpen natürlich.

Die Summe aller Trainingsdaten ist der Mensch

Auch das Otherland startet wieder so richtig durch, das Programm der nächsten Monate ist angefüllt mit Lesungen und Events.

Zum Start des Nach-Corona-Lebens hatte sich Otherlander Wolfgang Tress eine bunte Truppe an SF-Schaffenden in seinem Laden gewünscht, die ihn im letzten Jahr mit ihren Werken begeisterten.

Wolfgang Tress, Claudia Rapp und Nils Westerboer

Wolf ist nicht nur ein engagierter Buchhändler, sondern auch ein inspirierender Leser, der mit seiner Lektüre immer wieder phantastische Werke findet, die er dann mit Verve empfehlen kann und so artete seine Vorstellungsrunde zu einer ganz besonderen Lobrede auf die Anwesenden aus, was man ihm natürlich gern verzeiht.

Aber letztlich war das bei dem Programm auch kein Wunder: Nils Westerboer schuf mit Athos 2643 mein SF-Highlight des Jahres 2022. Aiki Mira schreibt begnadete Kurzgeschichten und erregte mit den beiden in 2022 erschienen Romanen großes Aufsehen in der Szene. Jens Lubbadeh präsentierte nun schon den vierten SF-Roman im Otherland und Theresa Hannig entwarf mit Pantopia zur Abwechslung mal eine funktionierende Utopie.

Also ein erstklassiges Grüppchen ganz unterschiedlicher Spielarten der SF und weil auch im Publikum jede Menge Verleger·innen, Autor·innen und Künstler·innen vertreten waren, entwickelte sich über zwei Stunden hinweg eine angeregte Diskussion zu den Themen der Bücher. Natürlich spielten KIs eine große Rolle, aber auch der Stellenwert der SF innerhalb der Branche.

Es herrschte eine tolle Atmosphäre und ich spürte wieder, wie schön es ist, bei so einem intensiven Gedankenaustausch dabei sein zu können. Nach Corona- und Winterblues belebt das ungemein.

Claudia Rapp, Nils Westerboer, Aiki Mira, Jens Lubbadeh und Theresa Hannig während der Diskussion

Jens Lubbadeh kannte ich noch gar nicht, irgendwie hatte ich ihn mit einem anderen Autoren verwechselt, der eher blutrünstige Fantasy schreibt und darum hatte ich seine Otherland-Termine bisher gemieden. Aber der Wissenschaftsjournalist imponierte mir und so ließ ich mir von ihm hinterher eines seiner Bücher empfehlen, da mich thematisch sein jüngster Roman Der Klon nicht so interessierte. Nun hab ich den Vorgänger Transfusion auf dem SUB, den der Autor lustigerweise als sein blutigstes Werk bezeichnete.

Amüsant fand ich auch Theresas Kommentar zu ihrer schöpferischen Zukunft, die dystopischer wird, denn sie hab ja nun ihre Utopie bereits geschrieben. Und im übrigens gab es selbst beim Schreiben von Pantopia den Moment, da sie auch alles gegen eine dystopische Wand hätte fahren lassen können.

Solche wunderbaren Abende braucht es eigentlich viel öfter und nicht nur das Otherland plant da groß, nur noch zwei Monate und dann findet der Metropol Con in Berlin statt – Claudia Rapp konnte gestern auch wieder dafür werben und so langsam steigt die Spannung, wie dieses Mega-Event werden wird.

Schneegepeitscht ins Geflecht

Das Jahr 2022 ist für die deutschsprachige Science-Fiction so fruchtbar wie keines, das ich im Blick habe. So viele gute und empfehlenswerte Romane sind erschienen, die zudem eine große Bandbreite an Themen, Stilen und Vorstellungsarten umfassen, dass es eine wahre Wonne ist, in diesem Jahrgang herumzulesen. Da nächste Woche die Nominierungsfrist für den Kurd Laßwitz Preis endet, bin ich grad etwas beschäftigt, zumindest einiges davon zu lesen, um nominieren zu können. Definitiv werde ich dann noch für die Abstimmungsrunde einiges lesen, nicht müssen, sondern wollen!

Aber zumindest Das Geflecht von Jol Rosenberg schaffe ich noch vorher, bin ich doch bereits 150 Seiten vor dem Ende und das Buch ist ein Pageturner, also easy.

Das Geflecht von Jol Rosenberg, Cover: Ingrid Pointecker

Ich freute mich riesig, als Jol auf dem BuCon erzählte, es würde im Januar in Berlin eine Lesung stattfinden und so stapfte ich gestern Abend im Schneeregen zur Brotfabrik, in der ich seit den 90ern nicht mehr war. Im Obergeschoss der Galerie fand ich sich ein kleines Räumchen mit etwa 30 Stühlen, die nicht einmal ausreichten, so groß war der Andrang. Später musste dann sogar die Abendkasse geschlossen werden. Hat man auch nicht oft.

Neben mir nahm übrigens Amandara Platz, die mir auch gleich über ihre nächsten Lesungen und ihre Zukunft als Programmleiterin beim acabus Verlag berichtete.

Der Eingang zur Galerie der Brotfabrik

Die Verlegerin Ingrid Pointecker war extra aus Wien angereist und machte sich des Nachts auch wieder auf die Heimreise.

Ingrid Pointecker

Jol trat im bekannten Anzug mit Hut und Fliege auf und am Nachbartisch performte die Künstlerin Princess Ming mit ihrer Stimme und etwas Technik zwischen den einzelnen Textpassagen Jols, was definitiv eine kongeniale Kooperation darstellte. Leider funktionierte der Live-Stream nicht, aber das störte uns Anwesende natürlich in keinster Weise.

Jol während der Lesung

Jol las zwei längere Kapitel um Danyla und Pako, lustigerweise war der zweite Text direkt mein Stand vor der Lesung. Den hatte ich auch schon in einer anderen Lesung gehört, nun wusste ich aber wesentlich mehr über die Handlung.

Princess Ming verwendete sogar Jols Stimme in ihrer Performance

In Das Geflecht geht es um den Planeten Rusal. Terranische Kolonisten betreiben auf ihm Bergwerke um Bodenschätze abzubauen. Einer von ihnen ist der Ingenieur Pako, der nach einem Vorfall seinen Job verliert und sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält, bis ihm ein seltsames Unternehmen anstellt. Bald steigt er im Unternehmen auf, muss dafür aber einen hohen Preis bezahlen. Bald stürzt er in einem Dschungelgebiet ab und wird von der einheimischen Surai-Jägerin Danyla angeschossen, weil der Terraner kein Teil des Geflechts ist, wie die Bewohner Rusals ihre Verbindung zu allem hier nennen. Diese Verletzung verpflichtet Danyla nach den Regeln ihres Volkes, sich um Pako zu kümmern. Diverse Dinge nehmen ihren Lauf …

Jol beantwortet Fragen zum Buch

Wie in der Fragerunde herauskam, schreibt Jol tatsächlich an einer Fortsetzung, die aber nicht Jols nächste Romanveröffentlichung sein wird. Je nach Papier- und Verlagskapazitäten könnte im Herbst bei Plan9 ein neuer Zweiteiler starten. Ich fänd das prima.

Im Anschluss konnte ich mit Frank Böhmert in der Brotfabrik-Kneipe den Abend stilvoll ausklingen lassen. Was für ein schöner Lesungsauftakt 2023!

Das Set nach dem Text zum Bild

Während der Lockdowns kamen Online-Lesungen groß in Mode und aus irgendwelchen Gründen hatte ich gerade dann überhaupt keine Lust mehr darauf, obwohl ich seit vielen Jahren großer Fan der Online-Lesungen in Second Life bin, die zumeist von Thorsten Küper aka Küperpunk organisiert wurden.

Und nun, da sich die Pandemie ihrer endemischen Phase zu nähern scheint, kommt auch bei mir langsam das Gefühl zurück, virtuelle Lesungen zu brauchen. Deshalb war ich ganz froh, dass gestern ein Lesungsevent zur Anthologie »Am Anfang war das Bild« stattfand.

Mein Avatar vor einigen Bildern des Bandes

In den vergangenen Wochen hatte ich mich an einem Lesezirkel zum Buch im SFN beteiligt, kannte daher alle Texte und Bilder und freute mich sehr, einige der Autor·innen ein weiteres Mal live, nach dem Auftritt in einer Talkien-Folge, zu erleben.

Die Avatare von Heidrun Jänchen, Küperpunk und Aiki Mira vor dem Plakat von Uli Bendick

Die Antho enthält SF-Geschichten, die von Grafiken der Künstler Uli Bendick und Mario Franke inspiriert wurden. Die Mitmachenden konnten sich in einer Bildersammlung Grafiken auswählen, auf deren Grundlage sie ihrer Fantasie freien Lauf für Storys ließen. Hinterher nutzten die beiden Grafiker dann die so entstandenen Texte, um weitere Bilder passend dazu zu kreieren.

Das Plakat von Mario Franke

Das alles nahm nun Barlok Barbosa, um daraus die Bühnenbilder der Lesungen in SL zu gestalten und natürlich gelang ihm das wieder ganz großartig! Es ist eben doch etwas anderes, in diesen Sets während der Lesungen herumzulaufen, als das ganze dann später in Youtube zu betrachten, obwohl der Küperpunk hier viel Arbeit reinsteckt und es sich wirklich lohnt, die Videos anzugucken.

Wir trafen uns zunächst in der Galerie und Mitherausgeberin Aiki Mira besprach mit dem Küperpunk einige der Bilder von Uli Bendick und Mario Franke. Mario, der im Discord zugegen war, kommentierte das Ganze aus seiner Sicht. Hier in der Galerie fand dann im Anschluss an die Lesungen auch ein Konzert von Psiquence statt, der schön öfter mit seiner elektronischen Musik Lesungsevents atmosphärisch ausklingen ließ.

Der Küperpunk und Aiki im Set zu »Unser stilles Dorf«

Isabell Hemmrich begann den Lesungsteil mit »Unser stilles Dorf«, dessen Stil und Poetik mir beim Lesen sehr gefielen.

Heidrun im Set zu »Stille Post«

Ihr folgte Heidrun Jänchen, die ihre Geschichte »Stille Post« zunächst für die Klimawandel-Antho, ebenfalls bei Hirnkost erschienen, begann, aber dann liegen ließ, weil sie nicht so recht rund wurde. Aber ihr machen Figuren in der Schublade Gewissensbisse und als sie dann das Schmetterlingsbild im Katalog zur Antho sah, fiel ihr die angefangene Story wieder ein. Zeit, daraus eine ungewöhnliche Geschichte zu machen, die sich über mehrere Zeitsprünge hinweg erstreckt.

Aiki und Barlok im Set zu »Utopie27«

Aiki Miras »Utopie27« bildete den Abschluss des Buches und faszinierte durch ein stark beschriebenes Cyberpunksetting und einer sehr emotional anrührenden Lebensgeschichte.

Im Set zu »Das Licht«

Uwe Neuholds Story »Das Licht« hingegen fand ich im Buch eher nicht so gelungen, aber in der Lesung konnte er ihr neue Töne abringen.

Im Set zu »Onkel Nolte oder die hohe Kunst, aus dem Fenster zu schauen«

»Onkel Nolte oder die hohe Kunst, aus dem Fenster zu schauen« von Janika Rehak ist eine bezaubernde Liebesgeschichte, die mich schon im Buch sehr bewegte und in dem tollen Set von Barlok so richtig zum Funkeln kam.

Psiquence ließ den Abend ausklingen

Wie hier die Verbindung ganz unterschiedlicher Medien Kunst weiterschreibt, begeisterte mich den gesamten Abend über. Vom Bild zum Text zum 3D-Kunstwerk.

Grüße aus der Gruft der Zukunft

In den Neunzigern versuchte ich mit Hilfe der Amerika Gedenkbibliothek meinen Rückstand an westlicher Science-Fiction aufzuholen. Später dann kaufte ich jene Werke, die auf Listen der wichtigsten SF-Werke auftauchten und noch heute stehen davon etliche ungelesen im Regal. Die Menge ist einfach riesig, es erscheinen ständig neue Bücher und ich will ja nicht nur Science-Fiction lesen.

Aber ich bekam zumindest einen gewissen Überblick, konnte Namen zuordnen und wusste um prägende Titel.

Als ich nun Die Weltenschöpfer Band 1 von Charles Platt direkt vom Verleger Hardy Kettlitz erwarb, stöberte ich bereits auf der Heimfahrt in den ersten beiden der kommentierten Gespräche. Von Isaac Asimov habe ich einiges gelesen, Thomas M. Disch sagte mir nur vom Namen her etwas.

Aber die Art und Weise, wie Platt seine Interviews aus den 70ern begleitete und mit brandaktuellen Nachträgen versorgte, reizte mich. Platt selbst kannte ich überhaupt nicht und so stellte er sich mir als sehr streitbaren, zuweilen arrogant erscheinenden Autor vor, der zwar die bedeutendsten Personen der Szene traf, aber nicht als Fan mit ihnen sprach, sondern als Insider und meist auf Augenhöhe.

DIe Weltenschöpfer Band 1 von Charles Platt; Cover von S. Beneš

Die Portraits sind sehr launisch und geprägt von teilweise zynischen Beobachtungen zu den Wohnungen und Häusern der Besuchten. Was für mich besonders spannend war, da ich ja auch einige solcher Interviews in privatem Umfeld durchführte und mich selbst dabei eher als scheu und eingeschüchtert erlebte. Ein Unwohlsein, das zu einer immer größeren Schwelle im Lauf der Zeit wurde.

Platt erlebte das eher selten. Zwar sind seine Begegnungen, etwa mit Philip K. Dick, sehr strange, aber meist stellte er sie im Rückblick als professionelles Journallistenhandwerk dar, wenn nicht sogar gleich als Treff von Freunden.

Darunter dann auch zerbrechende Freundschaften wie die mit Harlan Ellison.

Von den 18 Autoren kannte ich nur sieben durch ihre Werke, vier Namen sagten mir sogar komplett gar nichts. Und spannend wurde es für mich meist dann, wenn mir die Autoren durch ihre Werke besonders sympathisch waren, wie Samuel R. Delany, Kurt Vonnegut Jr. und Philip José Farmer, aber natürlich bleiben die Zankereien und Seltsamkeiten länger im Gedächtnis haften.

Ich freue mich jetzt schon auf die beiden anderen Bände, darunter in Band 3 dann auch endlich als Autorin Joanna Russ.

Über Stock und Holm

Ich hatte mir dieses Jahr vorgenommen, ein wenig in den Programmen der Kleinverlage zu stöbern und Bücher zu probieren, die nicht primär zu meinen Lesevorlieben passen. Außerdem erliege ich ganz leicht Buchverführungen und so konnte ich einen Superdeal für die Valkyrie-Trilogie von Tina Skupin aus dem ohneohren Verlag nicht ignorieren.

So erwarb ich die drei Bücher im einheitlichen Design samt Gimmicks, wie einer Walkürebadeente, und hab den ersten Band im Sommer gelesen.

Frida für die Badewanne

»Zurück ins Jetzt« ist der Bericht der Walküre Frida, die im Auftrag Odins einen etwas peinlichen Fehler begeht und plötzlich im Stockholm unserer Tage wieder zu sich kommt. Asgard gilt als verschollen, die Norsen leben mehr oder weniger versteckt unter den Menschen und wollen keine Aufmerksamkeit erregen. Was Frida nun aber überhaupt nicht in die Wiege gelegt wurde.

»Zurück ins Jetzt« von Tina Skupin

Frida ist eine lustige Gesellin, der ich gern durch ihre Irrungen und Wirrungen folgte, wenn es auch recht bald klar wurde, dass ich hier eine typische Mary-Sue-Geschichte in den Händen hielt.

Aber wer will nicht mal als unbesiegbare Walküre mit einem Spraben für Die Freie Presse eintreten, mit Loki ein Tricktänzchen aufführen oder eine Prinzessin befreien, die Kirschblüte heißt und in einem Zuckerschloss wohnt? Ja, gerade letzteres kommt der Sache schon recht nahe.

Auf jeden Fall habe ich riesige Lust bekommen, nach Stockholm zu fahren, mir die Stadt mit strengem Norsen-Blick anzuschauen und nach veredeltem Glöck zu rufen.

Tina Skupin auf der buch Berlin 2019

Bestimmt werde ich sogar in die Folgebände reinschnuppern und vielleicht ist die Autorin mit Hut ja wieder mal live zu erleben, sodass ich mir die Bände signieren lassen kann.