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Die Summe aller Trainingsdaten ist der Mensch
Auch das Otherland startet wieder so richtig durch, das Programm der nächsten Monate ist angefüllt mit Lesungen und Events.
Zum Start des Nach-Corona-Lebens hatte sich Otherlander Wolfgang Tress eine bunte Truppe an SF-Schaffenden in seinem Laden gewünscht, die ihn im letzten Jahr mit ihren Werken begeisterten.
Wolf ist nicht nur ein engagierter Buchhändler, sondern auch ein inspirierender Leser, der mit seiner Lektüre immer wieder phantastische Werke findet, die er dann mit Verve empfehlen kann und so artete seine Vorstellungsrunde zu einer ganz besonderen Lobrede auf die Anwesenden aus, was man ihm natürlich gern verzeiht.
Aber letztlich war das bei dem Programm auch kein Wunder: Nils Westerboer schuf mit Athos 2643 mein SF-Highlight des Jahres 2022. Aiki Mira schreibt begnadete Kurzgeschichten und erregte mit den beiden in 2022 erschienen Romanen großes Aufsehen in der Szene. Jens Lubbadeh präsentierte nun schon den vierten SF-Roman im Otherland und Theresa Hannig entwarf mit Pantopia zur Abwechslung mal eine funktionierende Utopie.
Also ein erstklassiges Grüppchen ganz unterschiedlicher Spielarten der SF und weil auch im Publikum jede Menge Verleger·innen, Autor·innen und Künstler·innen vertreten waren, entwickelte sich über zwei Stunden hinweg eine angeregte Diskussion zu den Themen der Bücher. Natürlich spielten KIs eine große Rolle, aber auch der Stellenwert der SF innerhalb der Branche.
Es herrschte eine tolle Atmosphäre und ich spürte wieder, wie schön es ist, bei so einem intensiven Gedankenaustausch dabei sein zu können. Nach Corona- und Winterblues belebt das ungemein.
Jens Lubbadeh kannte ich noch gar nicht, irgendwie hatte ich ihn mit einem anderen Autoren verwechselt, der eher blutrünstige Fantasy schreibt und darum hatte ich seine Otherland-Termine bisher gemieden. Aber der Wissenschaftsjournalist imponierte mir und so ließ ich mir von ihm hinterher eines seiner Bücher empfehlen, da mich thematisch sein jüngster Roman Der Klon nicht so interessierte. Nun hab ich den Vorgänger Transfusion auf dem SUB, den der Autor lustigerweise als sein blutigstes Werk bezeichnete.
Amüsant fand ich auch Theresas Kommentar zu ihrer schöpferischen Zukunft, die dystopischer wird, denn sie hab ja nun ihre Utopie bereits geschrieben. Und im übrigens gab es selbst beim Schreiben von Pantopia den Moment, da sie auch alles gegen eine dystopische Wand hätte fahren lassen können.
Solche wunderbaren Abende braucht es eigentlich viel öfter und nicht nur das Otherland plant da groß, nur noch zwei Monate und dann findet der Metropol Con in Berlin statt – Claudia Rapp konnte gestern auch wieder dafür werben und so langsam steigt die Spannung, wie dieses Mega-Event werden wird.
Gut gedruckt ist halb zerfetzt
Den jüngsten SF-Roman der Orgel-Brüder habe ich in seinem Erscheinungsjahr gelesen und das ist schon erstaunlich. Aber sie warben auf eine so nette Art für »Behemoth«, dass ich nicht widerstehen konnte.
Im Zentrum steht die Betrachtung zweier Generationenraumschiffe mit unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft, eines eher chinesisch geprägt, das andere stalinistisch, beide totalitär, und ihr Umgang mit dem zunehmenden Verfall der Schiffe und damit der Ordnung.
Die Inszenierung gefiel mir, wenn sie auch sehr auf Bekanntem aufbaut. Die beiden Systeme überraschen weder in den finsteren Dingen, als auch in den liebevollen Überlebensgeschichten.
Das dritte Schiff wird nicht näher betrachtet, es ist eher der Gute-Westen-Typ und von daher für die Orgels vielleicht zu langweilig oder der Platz bzw. die Zeit reichten nicht mehr.
Das spürt man dann im Finale, wenn eine entscheidende Volte dadurch einfach kalt serviert wird und man sich fragt, warum das »Aas« nun so handelt. Da fehlte mir dann doch jede Menge Exposition und Motivation. Überhaupt ist das Finale etwas zu viel Harry-Kim.
Das Cover ist leider wieder sowas Generisches und hat nur den Hauch eines Bezuges zum Roman, aber zumindest Weltraum und Objekte.
Nichtsdestotrotz hat mir die muntere SF-Abenteuergeschichte sehr gefallen, ich mochte eine Menge der Figuren und hätte mit einigen von ihnen gern noch mehr Zeit verbracht.
Cyril und die Liebe
Auf dem Schreibtisch stapeln sich die unbesprochenen Bücher, ich muss da endlich ran, also weiter mit dem Klassikerlesezirkelbuch Oktober: »Die Farben der Zeit« von Connie Willis.
Das Buch hatte ich mir mal antiquarisch besorgt, weil es irgendwo empfohlen wurde und wie das oft so ist, landete es im Bücherregal, oft mich stumm anklagend und auf bessere Tage wartend.
Glück für den Wälzer, dass der Lesezirkelvorschlag kam und ich mitmachte. Und schon lange hat mich kein Buch mehr so zum Schmunzeln und Grinsen gebracht, wie »To Say Nothing Of The Doc Or How We Found The Bishop’s Bird Stump Tt Last«.
Es dauerte ein paar Seiten, bis mir bewusst wurde, dass es sich hier um ein lustiges Buch handelte, denn Zeitreisende, die in der Ruine einer von Deutschen im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kathedrale nach etwas suchen, lässt mich nicht automatisch in eine fröhliche Stimmung wechseln. Doch als der Penny fiel und ich mich in einen Monty-Python-Sketch versetzt fühlte, begann ich mich zu entspannen und die wilde Fahrt zu genießen.
In irgendeiner Zukunft des Jahres 2057 soll die zerstörte Kathedrale wieder aufgebaut werden und die sehr rigorose Lady Schrapnell, die hinter dem Projekt steht, hat fast die gesamte Historikertruppe Oxfords durch die Zeit gesendet, um des »Bischofs Vogeltränke« aufzuspüren, das letzte Detail, das zur feierlichen Neueröffnung noch fehlt.
Unsere Hauptfigur Ned hat schon ein paar Sprünge zu oft hinter sich und soll daher ins friedliche viktorianische Zeitalter reisen und sich von der Zeitkrankheit erholen. Gleichzeitig überträgt man ihm da noch diese kleine Aufgabe, doch durch das Chaos im Zeitinstitut und aufgrund seiner Verwirrtheit durch zu viele Sprünge, bekommt er nur die Hälfte mit. So schließt er sich nach seiner Ankunft im Jahre 1888 einem jungen Studenten an, der mit seinem Hund Cyril die Themse hinunterfahren will, ein Mädchen zu treffen, in das er sich Hals über Kopf verliebte.
Es entwickelt sich eine köstliche Parodie auf Zeit und Menschen, wir werden Zeugen einer süßen Liebesgeschichte und für mich als frischgebackenem Hundebesitzer gab es herrliche Charakterstudien verschiedener Haustiere.
Ein glücklichmachendes Buch. Ein Buch, dessen Lektüre eine ungemeinen Spaß bereitete und auch noch etwas Neues zum Thema Zeitreise-SF beitragen konnte.
Gute-Laune-Science-Fiction, die zu Recht den »Hugo« gewann oder wie wir heute jern janz modern sagen: Solarpunk.
Die Artifiziellisierung der Kritik im dystopischen Krieg der Hyperironie
Das Programm des Literarischen Colloquiums Berlin scanne ich regelmäßig nach Veranstaltungen mit interessanten Themen sowie Büchern und Menschen, die mich faszinieren. So fiel mir im Novemberprogramm der Name Charlotte Krafft auf.
Schuld an meinem Interesse an dieser Autorin ist Anja Kümmel, die im Tagesspiegel eine euphorische Besprechung des Erzählungsbandes »Die Palmen am Strand von Acapulco, sie nicken – Eine endlose Geschichte über den Tod in einer fremden Welt« veröffentlichte. Den Band besorgte ich mir über das Otherland und obwohl die Lektüre eine Weile dauerte, war ich hinterher auch begeistert. Es stellt für mich immer noch den besten SF-Erzählungsband 2020 dar und auch wenn meine Nominierung für den KLP versandete, werd’ ich das weiterhin verbreiten. Ich habe auch immer noch die feste Absicht, das Buch zu besprechen, aber so einfach ist das bei den sperrigen Texten nicht.
Wie auch immer, die Geschichten sind toll, abwechslungsreich und sehr literarisch geschrieben und machten mich sehr neugierig auf Charlotte Krafft.
Die jetzt an der Gesprächsrunde Stimmen der Kritik #4 teilnahm zusammen mit Joshua Groß und Rudi Nuss. Ein Projekt der germanistischen Fakultät der FU von Jutta Müller-Tamm, die auch den Abend eröffnete.
Zunächst las Simon Schleusener eine wissenschaftliche Arbeit zur Einordnung des Themas Kritik in das Schaffen der Diskutierenden. Im Wesentlichen fanden sich ihre Namen in einem Buch, das das Wort Kritik im Titel trug, so mein Eindruck, aber ich erfuhr hier dass auch die beiden anderen Teilnehmer Science-Fiction schrieben!
Quasi ein Volltreffer.
Der Abend war ja an sich schon ungewöhnlich. Mein bester Freund liebt es, von mir zu Kulturveranstaltungen mitgenommen zu werden und so entschied er recht spontan, dass diese Veranstaltung cool klänge. Ich besorgte erstmals personalisierte Online-Tickets für das LCB – normalerweise gibt’s da immer solche grauen Papierschnipsel aus dem Schreibwarenladen. Aber vielleicht auch durch Corona ist die Webseite des LCBs deutlich moderner geworden. Es fand ja auch eine Zeit alles nur online statt.
Dann galt natürlich 2G und tatsächlich war der Eintritt auch noch frei, da alles durch die Uni gestemmt wurde. Und während ich normalerweise im LCB zu den Jüngsten des Publikums zählte, stellten wir beide dieses Mal die Alterspräsidenten, was meinen Freund zu dem Hinweis veranlasste, dass uns das in Zukunft öfter so gehen wird.
Nunja, er hatte wohl zu viel November. Jedenfalls sah es stark nach studentischer Basis aus und leider war die Veranstaltung nicht so gut besucht. Aber an einem Novembermontag im tiefsten Westen der Stadt sollte man auch nicht zu viel erwarten. Übrigens erkannte ich dann später auch tatsächlich Anja Kümmel unter den Gästen.
Das Thema war zwar Kritik, aber das fand sich dann eher am Rande. Nach dem germanistischen Essay las Joshua Groß eine Kurzgeschichte, in der es um einen Aufenthalt in Porto ging, der durch die ständige Nennung des chilenischen Comickünstlers und Regisseurs Alejandro Jodorowsky bestimmt wurde. Joshua Groß veröffentliche letztes Jahr den SF-Roman »Flexen in Miami«, der völlig an mir vorbeiging, den ich aber nun wohl bald bestellen werde und durch den Titel an Juan S. Guses Miami Punk erinnerte – und an einen anderen außergewöhnlichen SF-Abend im LCB.
Joshua Groß dominierte nachher auch den Diskussionsteil und sprach mit dem Germanisten auf Augenhöhe. Wichtig erschien mir sein Hinweis, dass die Klassifizierung eines Buches meist nach einem Gesamteindruck erfolgt, obwohl eventuell Teile davon ganz anders sind. Ihm gefiel das nicht.
Charlotte Krafft las ihren Essay »PRAISE BOB« vor, in dem es um Fehler ging und dessen Teiltitel »Lob der Unsicherheit« lautete. Die Seiten klemmten in einem jener alten graumelierten Klemmhefter, dessen Einband man einmal ganz herumdrücken muss, um Seiten einklemmen zu können und in denen auch meine ersten Texte heute noch stecken.
Der Text um Poof, Pow, Wow und Why war teilweise witzig, teilweise ernst und sehr gern würde ich jetzt auch Texte ihres Erzählbandes von ihr vorgelesen bekommen. Sie signierte mir mein Exemplar hinterher und malte mit einem weißen Stift eine Palme hinein. Großartig, bezaubernd und cool!
Dieser Autorin werde ich durch ihre Texte folgen. Bin sehr gespannt, was sie noch so veröffentlicht. Sie verteidigte in der Diskussion die SF als innovatives Medium und ihr Hinweis auf Ursula K. Le Guin bescherte meinem Freund den nächste Lesetipp, nachdem ich ihn im letzten Monat mit Connie Willis »Farben der Zeit« versorgt hatte.
Sie wurde dann auch noch zum Thema Hyperironie befragt, wohl ein Begriff, den sie mal irgendwo in einem anderen Essay definierte, heute aber nicht mehr ganz so zwingend findet, es sei denn, sie liest ihr Essay; was schon ziemlich lustig war.
Rudi Nuss stellte uns sein Romanprojekt »Die Realität kommt« vor. Die stakkatoartig vorgetragenen Szenen klangen für mich nach typischer Schrottplatz-Dystopie. Hatte durch den Vortrag einen gewissen Reiz, inhaltlich eher nicht. Aber der Autor arbeitet sich da an für ihn wichtigen Themen ab, geht das sehr poetisch an und vielleicht trägt diese Stimmung ja den Roman, der nächstes Jahr erscheinen wird.
In der Diskussion ging es eher um die Rolle der SF, Möglichkeiten der Rap-Sprache und irgendwann entschied ich, zu Hause das Wort »artifiziell« nachzuschlagen, da es so häufig vorkam, ohne dass sich mir der Sinn direkt aus dem Kontext erschloss. Es bedeutet künstlich. Tja, hätte ich mir aus dem Englischen herleiten können, AI – ich alter SF-Banause – aber so recht fällt mir kein Grund ein, »künstlich« auszutauschen.
Das Fazit des Abends fällte mein Freund: Kluges von klugen Menschen zu hören, ist immer ein Gewinn. Und kommt nicht so oft vor.
Außer man geht ab und zu ins LCB.
Dieser zauberhafte Blütenfluch
Auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Bücher, zu denen ich Kurzrezis für den Blog schreiben will, bevor sie uns Regal wandern. Nun legen sich auch noch unsere neuen kleinen Kätzchen obendrauf und schwupps ist der Blick auf den Bildschirm versperrt – ein deutliches Signal, jetzt endlich anzufangen. Also los.
Piers Anthony ist ein Autor, den ich durch Michael Schmidt kennenlernte, weil er mir zum einem von ihm vorschwärmte und mich zum anderen zur Mitarbeit an einem Artikel für den Fantasyguide überredete. Ich kaufte mir damals etliche der Werke über ebay, aber eines war nicht dabei: »Chthon«. Micha versuchte immer mal wieder, das Buch in den Klassiker-Lesezirkel des SFN zu schleusen, im April diesen Jahres war es dann endlich soweit.
Mein Exemplar ist eine ziemlich ranzige Taschenbuchausgabe der Version des Marion von Schröder Verlages; leider ist der Gebrauchtmarkt für eine deutschsprachige Ausgabe des Werkes mehr als übersichtlich und nach der Lektüre wünsche ich mir da durchaus ein schön gebundenes Buch, denn »Chthon« ist ein Werk, das ich wiederlesen möchte.
Das liegt vor allem an der verschachtelten und nicht linear erzählten Geschichte, deren Wendungen man meist erst im Nachhinein begreift. Wir verfolgen die Geschichte von Aton Fünf, der recht gut situiert auf einer friedlichen Welt aufwächst, die mit dem Handel einer besonderen Blume reich wurde. Diese Blume blüht, solange die schenkende Person die beschenkte liebt. Aton trifft nach seinem siebten Geburtstag im Wald unweit des Anwesens seines Vaters auf eine wunderschöne Frau, die ihn küsst, eine dieser Hvee genannten Blumen schenkt und ihm Liebe verspricht, solange er sich an ihr Lied erinnert.
Dieser Zauber der Mignonne verändert nicht nur das Leben Atons, er durchzieht das gesamte Buch.
Ein wesentlicher Bestandteil ist dabei das Leben Atons in den Minen des Gefängnisplaneten Chthon und hier gelingt Piers Anthony nicht nur ein sehr atmosphärisches Stück Survival-Literatur, er baut um diese sehr brutalen Szenen eine faszinierende Welt auf, die seines gleichen sucht.
»Chthon« ist erstklassige Science-Fiction und eine sehr detailliert ausgearbeitete Lebensgeschichte, deren Protagonist man nicht mögen kann, dessen Handlungen man aber nach und nach versteht.
Für mich ein Buch, dass ich garantiert noch einmal zur Hand nehmen werde.
Die Liebe im Winter
Bereits im Februar las ich im Lesezirkel des SFN Ursula K. LeGuins Winterplanet.
Das Buch stand schon lange bei mir im Regal und als es ausgewählt wurde, nutzte ich die Chance, es endlich zu lesen.

Das Buch beeindruckt vor allem durch die Idee einer Gesellschaft, in der sich Geschlechtlichkeit nur einmal im Monat für ein paar Tage zeigt und zufällig auf weiblich oder männlich fällt. Das verändert das zusammenleben der Menschen stark, da es weder eine Diskriminierung des Geschlechts wegen gibt, sexuelle Gewalt unbekannt ist und quasi jede Person in der Lage versetzt werden kann, sowohl Mutter als auch Vater zu sein.
In der eigentlichen Handlung geht es um einen Abgesandten der Ökumene, der zu erreichen versucht, dass sich der Planet ihnen anschließt. Wegen der klimatischen Bedingungen heißt der Planet Winter und der Höhepunkt des Romans ist eine lange Flucht über einen Gletscher. Der Abgesandte lernt dabei eine andere Form der Liebe kennen, grob gesagt.
Sprachlich wie inhaltlich ist LeGuin hier eine Meisterin, der Roman, im Original »The Left Hand of Darkness«, aus dem Jahre 1969 machte sie als SF-Autorin zu Recht berühmt.
Tot bist Du noch lange nicht!
Wenn man über die Jahrzehnte einem erfolgversprechenden Jungautoren folgt, erwartet man ja immer, dass die ganze Welt genauso begeistert ist, wie man selbst. Ja, Jahrzehnte klingt lang für einen kometenhaften Aufstieg, aber ist es nicht das Ding der Kometen, ewiglang unentdeckt durchs All zu ziehen und dann plötzlich mit einem riesigen Impact die Welt zu erschüttern?
Uwe Post wird jetzt vielleicht nicht die deutsche Literatur erneuern, aber für mich gehört er mit seinen Werken schon zum Kanon der aktuellen deutschsprachigen Phantastik und sollte explizit in der SF deutlich geläufiger sein. Aber man kann sich seine Leserschaft nicht basteln und ich denke, dass Uwe Post da schon ein wenig dran verzweifelt. Er schreibt pointierte Kurzgeschichten, die SF-Themen mit gesellschaftlichen Missständen kreuzen, dehnt das in Roman-Form aus, lässt die Satire weg, versucht’s mit Fantasy, mit Retro-Charme und dann ist doch ein Känguru-Freund in den Bestsellerlisten – mit fast identischen Geschichten und Worten.
Ich versteh’s auch nicht. Und natürlich liegt’s auch nicht an mir, denn mit jeden neuen Buch von Uwe spring ich in die Bresche und betone meine Freude an der Lektüre, an der Wahl der Themen und dem Wohlklang der Worte. Okay, letzteres ist etwas übertrieben.
Mit seinem jüngsten Roman »E-TOT« hat Uwe nun Ideen aus einigen Kurzgeschichten in Romanform umgesetzt und bebildert das Leben nach dem Upload, vor allem der Tücken, die man quasi zwangsläufig damit haben wird, wenn man sich an den heutigen Stand der Technik, ihre Missbrauchsmöglichkeiten und dem desolaten Zustand unserer Zivilisation ausrichtet.
Eine fein gesponnene Dystopie mit typisch Post’schen Sinn fürs Groteske und wenn er das ganze noch etwas fokussierter auf den Punkt bringen, den Figuren etwas mehr Charakter verpassen könnte, müsste das mit dem Bestseller auch mal klappen. Ich fand das Buch gut und etwas mehr berichte ich in meiner Rezi: E-TOT von Uwe Post
Geistvolles Gesellschaftsgekrabbel
Der Herbstblues hat mich voll erwischt und es fällt mir schwer, mich auzuraffen, diverse Schreibprojekte voranzutreiben, was auch dieses Blog zu spüren bekommt. Aber zu Halloween nutz’ ich ein paar freie Minuten, um endlich wieder von meiner Lektüre zu berichten.
»Qualityland« ist auch schon wieder ein paar Jahre her. Das Buch wurde ein riesiger Erfolg und sogar zum Schulbuch. Ich fand’s auch ganz witzig, natürlich unter der Prämisse, dass einige der Gags von anderen SF-AutorInnen schon erzählt worden waren.
Was nun auch auf »Qualityland 2.0« zutrifft. Marc-Uwe Kling ist ein netter Typ mit einer soliden Comedy-Variante. Lesungen von ihm, die man im Netz problemlos findet, sind eine sehr spaßige Angelegenheit und er hat auch in der Fortsetzung seiner Dystopie keine Schwierigkeiten, aktuelle technologische und soziale Entwicklungen in eine absurde Zukunft zu führen. Vom achtstündigen Dritten Weltkrieg bis hin zum wunderbaren Verinnern – Marc-Uwe Kling hat eine Menge böser Ideen oder zumindest die Fähigkeit, sie in schräge Szenen zu fassen.
Das ist natürlich auch politisch, aber in erster Linie beste Unterhaltung, die mir wieder sehr viel Spaß bereitete. Dass Science-Fiction bei klassischen Belletristik-Verlagen auch in Serie möglich ist, begrüße ich ausdrücklich und vielleicht sucht man ja in Zukunft auch mal Kontakt zu den gestandenen Autorinnen und Autoren der deutschsprachigen Phantastik, um sie und ihre Werke einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Da gibt es noch eine Menge Schätze zu heben!
Ich hab noch Stoff für eine ganze Reihe von Blogbeiträgen, muss mich nur aufraffen. Corona-Lockdown heißt für mich normales Arbeiten, sodass ich jetzt nicht mit erzwungener zusätzlicher Freizeit bestückt werde und nur-Lesen ist im Moment irgendwie einfacher.
Aber zumindest die Pflichtrezis schaffe ich und darum hier nun der Link: Qualityland 2.0 von Marc-Uwe Kling
Meines Bruders Träume
Wenn man Bücher nicht gleich kauft, wird es wahrscheinlich nie etwas. Das hab ich schon sehr oft erlebt und darum war ich froh, als mir die jüngste Veröffentlichung von Ralph C. Doege wieder ins Gedächtnis geholt wurde, den ich seit seiner Geschichte um den Balkonstaat sehr schätze. Nun konnte er die Erzählung »Yume. Träumen in Tokio« bei Septime unterbringen.
Im Septime Verlag erschien die wunderbare Gesamtausgabe der Werke von Alice Sheldon aka James Tiptree Jr. und auch »Yume« erhielt eine elegante und moderne Gestaltung.
In »Yume« begleiten wir einen aus Deutschland angereisten Mann bei seinen Spaziergängen durch Tokio, wobei nie wirklich geklärt ist, ob er sich in einem Traumzustand befindet oder wach ist. Denn in Tokio soll er seinen im Koma liegenden Zwillingsbruder durch das Yuma genannte Gerät beim Erwachen helfen. Dafür muss er selbst schlafen und träumen.
Die Stadt wird dabei zu einem Ort, der die inneren Zustände des Mannes widerspiegelt. Von Einsamkeit bis hin zur Suche nach den Wendepunkten in seiner Kindheit. Erinnerungen tragen ihn dabei näher in die Gegenwart seines Bruders, als es in den vergangenen Jahren geschah. Und da ist noch Mari, die Frau seines Bruders und die Wissenschaftlerin hinter Yume …
Das Buch ist ein einziges melancholischen Schweben durch eine ferne Welt. Schwarzweißfotos präsentieren eine zusätzliche Sichtebene und verbinden sich mit den traumhaften Bewegungen des Protagonisten und ich begann bald zu rätseln, welche Stellen denn nun real sein sollten, was Traum, was vom Bruder Herübergewehtes. Eine ruhiges und nachdenklich machendes Leseerlebnis. Irgendwie ein Herbstbuch. Etwas für die Blaue Stunde.
Ein paar Worte mehr in meiner Rezi im Fantasyguide: Yume. Träumen in Tokio von Ralph C. Doege