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Sonne, See und Monde
Wenn es um deutschsprachige Phantastik geht, versuche ich, meine Antennen überall zu haben und darum notierte ich mir irgendwann einmal den Namen Clemens J. Setz.
Nun ergab sich die Möglichkeit den Autor kennenzulernen, da er ein neues Buch mit dem Titel »Monde vor der Landung« veröffentlichte, in dem es um einen Vertreter der Hohlwelt-Theorie geht. Also Buch im Otherland gekauft und heilfroh herausgefunden, dass ich die Lesung von ihm im LCB noch nicht verpasst hatte.
Mein bester Freund hatte auch Zeit, die Sonne kam im Laufe des Tages heraus und so tuckerten wir quer durch die Stadt zum Wannsee. Allzu oft seh’ ich das LCB gar nicht im Hellen, da ich irgendwie meist im Herbst und Winter hierher komme.
Der Saal war bereits fast voll, als wir ankamen – auch keine allzu häufige Erfahrung, zudem recht viel junges Publikum.
Die Veranstaltung wurde als Fortsetzung eines Gespräches zwischen der Autorin Kathrin Passig und Clemens J. Setz beworben und man spürte die engere Bekanntschaft der beiden in den Fragen und Kommentaren. Von Kathrin Passig hab’ ich noch nichts gehört oder gelesen, sie plauderte aber angenehm ruhig und sachlich mit dem Wiener, der Roman, Figuren und Werkgeschichte sehr fröhlich und munter vorstellte. Setz präsentierte sich als routinierter Vorleser, der mit seinen Texten seit Jahren erfolgreich durch die literarische Szene flaniert.
Was uns einen amüsanten Abend bescherte, den wir mit Wein und Sonnenuntergang, mit Blick auf den Wannsee, komplettierten.
Ob ich das Buch lese, weiß ich noch nicht genau, das Phantastische dürfte minimal sein und zudem spielt das Ganze wieder einmal zur Nazizeit, aber andererseits sollte der Autor schreiben können und der Abend versprach auch eine spannende Auseinandersetzung mit der Figur. Interessant dürfte auch sein herauszufinden, warum Setz Benders Frau als eigentliche Protagonistin bezeichnete und warum er sie dann doch nicht dazu machte.
Nun, bald ist Urlaubszeit, vielleicht landet dann der Setz ja neben Jules Verne im Koffer, der aufgrund des Urlaubszieles gesetzt ist. Was mich vielleicht dazu verführen könnte, passenderweise »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde« auszuwählen.
Knöpfchendruck und Button-Club
Die Auswahl meiner Lektüre geschieht oft sehr spontan. Als Mary Robinette Kowal im Programm des Metropol Cons auftauchte, dachte ich: Oh, Du wolltest da doch dieses Buch von ihr lesen! Aber erst als auch das Otherland ihren Besuch ankündigte, griff ich zur Tastatur und orderte den ersten Band der Lady-Astronaut Reihe, »Die Berechnung der Sterne«.
Und gerade so auf dem Hinweg zum Abend mit der Autorin im Otherland beendete ich die Lektüre. Vor der Lesung traf ich mich mit Markus Mäurer, der just für den Metropol Con anreiste und prompt in die aufregenden Abenteuer des öffentlichen Nahverkehrs geriet. Gestärkt und voll mit neuen Lektüretipps ging es zu Mary Robinette Kowal ins Otherland.
In »Die Berechnung der Sterne« geht es um eine junge Frau, die im zweiten Weltkrieg als Pilotin für die US Air Force Flugzeuge transportierte. Während eines Schäferstündchens mit ihrem Mann 1952 in den Bergen östlich Washingtons schlägt ein Meteorit vor der Küste ein und verändert das Leben der gesamten Menschheit. Und für Elma eröffnet sich ein Weg, den Frauen selbst in der realen Welt kaum eröffnet, ein Weg, der zu den Sternen führt.
Besonders die Diskriminierung von Frauen und People of Colors thematisiert Mary Robinette Kowal in ihren Werken, kein Wunder, dass diese Themen auch während des Gesprächs im Otherland diskutiert wurden. Zuvor servierte sie uns aber eine Kostprobe ihrer deutschsprachigen Fähigkeiten, in dem sie aus dem ersten Band der deutschen Übersetzung vorlas und schnell abbrach um auf die englische Fassung zurückzugreifen.
Nicht aber ohne auf die tolle Übersetzung Judith Vogts zu verweisen, die auch ich dufte finde.
Danach feierte ein Ausschnitt aus dem vierten Band Vorlesepremiere, den sie gerade erst vor ein paar Tagen beendet hat.
Mary Robinette Kowal ist professionelle Audiobuch-Sprecherin, was man ihrer Darbietung auch anmerkte. So sprach sie Elma und ihren Mann Nathaniel in unterschiedlichen Dialekten und Nathaniel hab ich prompt auch gar nicht verstanden.
Für die Audioaufnahmen ihrer eigenen Bücher verwendet sie übrigens Rohfassungen, was ihr hilft, die Texte noch einmal zu verbessern.
Wie sie im Gespräch erwähnte, dienten ihr Nora und Nicholas Charles aus der Krimi-Reihe »Der dünne Mann« als Vorbild für die beiden Yorks, in fünf Filmen gespielt von Myrna Loy und William Powell.
Durch den Abend führte wie gewohnt begeistert und charmant Otherlander Wolfgang Tress und so ging es bald um Frauen in der SF und die Veränderungen in der Szene über die vergangenen Jahre. Zufällig saß Mary Robinette Kowal direkt neben dem Regal in dem die zweibändige Anthologie »The Furure is Female« stand, die sie als besonders inspirierend zum Thema empfand und uns dringend ans Herz legte. Wolf konnte die Bände dann auch gleich aus dem Fach angeln – ich muss wohl kaum erwähnen, dass das Otherland einfach die coolste Buchhandlung der Stadt ist.
Zum Abschluss wurde dann auch nach ihrer Katze gefragt und plötzlich eröffnete sich ein weiterer Parallelkosmos, denn Mary Robinette Kowal nutzt ein Buttonboard zur Kommunikation mit ihrem Haustier, was sich definitiv als eine Quelle unendlicher Anekdoten und Geschichten erwies.
Zwar interessiert mich auch oft, was unsere Vierbeiner denken, aber sehr oft auch nicht.
Wieder ein toller Abend und ich bin ganz froh, die Gelegenheit genutzt zu haben, Mary Robinette Kowal im Otherland zu erleben, denn tatsächlich sah ich sie tags darauf auf dem Metropolcon nur aus der Ferne.
So aber holte ich mir eine Signatur fürs Buch und einen Button des Lady-Astronaut-Clubs für meine Umhängetasche. Zwar werde ich erst einmal keine der Fortsetzungen von »Die Berechnung der Sterne« lesen, behalte das Buch aber als lesenswert und vor allem Tränen treibend in Erinnerung.
Kaskadierender Horror und die Intelligenz der Kunst
Pünktlich zur Leipziger Buchmesse erschien der zweite Kaskade-Band »De Profundis« von Michael Marrak und nur wenige Tage später präsentierte der Autor das Buch stolz im Berliner Otherland.
Nach verstörenden Erlebnissen mit den Pollern der Bergmannstraße musste der Autor erst einmal kurz verschnaufen, Gelegenheit für Buchhändler Wolfgang Tress, auf das wieder prall gefüllte Programm des Ladens zu verwesen, das gefühlt täglich mit Highlights glänzt und so das Corona-Loch vergessen lässt.
Dann konnte es losgehen mit dem neuesten Marrak-Werk. Natürlich war auch Verleger Hardy Kettlitz anwesend, der sich gleich mal bei meiner Liebsten unbeliebt machte, als er auf die Existenz von Stammplätzen verwies. Ich hoffe sehr, dass ihr Unmut keinen Einfluss auf den künftigen Bucherwerb aus dem Memoranda-Programm hat.
Dem Abend selbst schadete das zum Glück jedoch nicht.
Michael Marrak begann kurz mit der Erklärung, warum es überhaupt zu einem zweiten Band des Romans kam. Die ersten vierzig Kapitel entstanden vor ein paar Jahren auf Anfrage eines Major-Verlages unter dem Titel »Kaskade«. Nach wirtschaftlichem Umbau des Verlages und Tod des Verlegers wurde aus einer Veröffentlichung jedoch nichts und das Manuskript landete zunächst als ungeliebter Scheiterhaufen in der Versenkung.
Erst durch die beiden Storybände, erschienen in Hardys Memoranda Verlag, bekam Micha wieder Lust auf den Text, der zunächst eher als etwas dreckiger Krimi begann und zunehmend phantastischer wurde. Was den Umfang wachsen ließ und so musste der Text gesplittet werden, um den bereits angekündigten Erscheinungstermin von »Lex Taleonis« halten zu können.
Das führte dann auch bei einigen Lesenden zu Verärgerung, da der Band mitten in einem Flashback, sehr abrupt endet.
Nun aber ist Band 2 draußen und Micha las uns ein paar Stellen aus dem Anfang des Romans vor. Es bleibt weiterhin spannend, phantastisch und mysteriös. Und es gibt ein echtes Ende.
Für Nerds wie mich spendiert der Verlag eine Sonderausgabe, die unter dem ursprünglichen Namen »Kaskade« beide Teile in einem Buch vereint. Dann werde ich das Werk auch komplett von Anfang lesen, da mir nach der Zeit nicht mehr wirklich alle Details im Kopf sind, was bei Krimihandlungen schon ungünstig ist.
Im Anschluss wurde Micha natürlich noch mit Fragen überhäuft. So erfuhren wir etwas mehr über seinen in Arbeit befindlichen SF-Roman, der auf der Kurzgeschichte »Insomnia« beruhen soll und plötzlich befanden wir uns in einer sehr emotionalen Diskussion zum Thema KI und Kreativität.
Besonders Timo Kümmel, über dessen Anwesenheit ich mehr sehr freute, mag ich doch seine Arbeiten seit langem, hat da für die Zukunft große Bauchschmerzen, da er als Grafiker und Covergestalter von der Masse künstlich generierte Bilder besonders betroffen ist.
Es ist eine Technologie, deren Einfluss auf unser Leben noch nicht in Gänze abzusehen ist. Inwieweit wird es unsere menschliche Kreativität behindern? Wird die Konkurrenz uns vielleicht sogar inspirieren? Welche Opfer wird es und kosten?
Ein überwältigender Veränderungsprozess läuft da gerade ab, der uns neben all den Krisen zusätzlich durchrüttelt, nicht nur an solch phantastischen Abenden im Otherland.
Schneegepeitscht ins Geflecht
Das Jahr 2022 ist für die deutschsprachige Science-Fiction so fruchtbar wie keines, das ich im Blick habe. So viele gute und empfehlenswerte Romane sind erschienen, die zudem eine große Bandbreite an Themen, Stilen und Vorstellungsarten umfassen, dass es eine wahre Wonne ist, in diesem Jahrgang herumzulesen. Da nächste Woche die Nominierungsfrist für den Kurd Laßwitz Preis endet, bin ich grad etwas beschäftigt, zumindest einiges davon zu lesen, um nominieren zu können. Definitiv werde ich dann noch für die Abstimmungsrunde einiges lesen, nicht müssen, sondern wollen!
Aber zumindest Das Geflecht von Jol Rosenberg schaffe ich noch vorher, bin ich doch bereits 150 Seiten vor dem Ende und das Buch ist ein Pageturner, also easy.
Ich freute mich riesig, als Jol auf dem BuCon erzählte, es würde im Januar in Berlin eine Lesung stattfinden und so stapfte ich gestern Abend im Schneeregen zur Brotfabrik, in der ich seit den 90ern nicht mehr war. Im Obergeschoss der Galerie fand ich sich ein kleines Räumchen mit etwa 30 Stühlen, die nicht einmal ausreichten, so groß war der Andrang. Später musste dann sogar die Abendkasse geschlossen werden. Hat man auch nicht oft.
Neben mir nahm übrigens Amandara Platz, die mir auch gleich über ihre nächsten Lesungen und ihre Zukunft als Programmleiterin beim acabus Verlag berichtete.
Die Verlegerin Ingrid Pointecker war extra aus Wien angereist und machte sich des Nachts auch wieder auf die Heimreise.
Jol trat im bekannten Anzug mit Hut und Fliege auf und am Nachbartisch performte die Künstlerin Princess Ming mit ihrer Stimme und etwas Technik zwischen den einzelnen Textpassagen Jols, was definitiv eine kongeniale Kooperation darstellte. Leider funktionierte der Live-Stream nicht, aber das störte uns Anwesende natürlich in keinster Weise.
Jol las zwei längere Kapitel um Danyla und Pako, lustigerweise war der zweite Text direkt mein Stand vor der Lesung. Den hatte ich auch schon in einer anderen Lesung gehört, nun wusste ich aber wesentlich mehr über die Handlung.
In Das Geflecht geht es um den Planeten Rusal. Terranische Kolonisten betreiben auf ihm Bergwerke um Bodenschätze abzubauen. Einer von ihnen ist der Ingenieur Pako, der nach einem Vorfall seinen Job verliert und sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält, bis ihm ein seltsames Unternehmen anstellt. Bald steigt er im Unternehmen auf, muss dafür aber einen hohen Preis bezahlen. Bald stürzt er in einem Dschungelgebiet ab und wird von der einheimischen Surai-Jägerin Danyla angeschossen, weil der Terraner kein Teil des Geflechts ist, wie die Bewohner Rusals ihre Verbindung zu allem hier nennen. Diese Verletzung verpflichtet Danyla nach den Regeln ihres Volkes, sich um Pako zu kümmern. Diverse Dinge nehmen ihren Lauf …
Wie in der Fragerunde herauskam, schreibt Jol tatsächlich an einer Fortsetzung, die aber nicht Jols nächste Romanveröffentlichung sein wird. Je nach Papier- und Verlagskapazitäten könnte im Herbst bei Plan9 ein neuer Zweiteiler starten. Ich fänd das prima.
Im Anschluss konnte ich mit Frank Böhmert in der Brotfabrik-Kneipe den Abend stilvoll ausklingen lassen. Was für ein schöner Lesungsauftakt 2023!
Die Artifiziellisierung der Kritik im dystopischen Krieg der Hyperironie
Das Programm des Literarischen Colloquiums Berlin scanne ich regelmäßig nach Veranstaltungen mit interessanten Themen sowie Büchern und Menschen, die mich faszinieren. So fiel mir im Novemberprogramm der Name Charlotte Krafft auf.
Schuld an meinem Interesse an dieser Autorin ist Anja Kümmel, die im Tagesspiegel eine euphorische Besprechung des Erzählungsbandes »Die Palmen am Strand von Acapulco, sie nicken – Eine endlose Geschichte über den Tod in einer fremden Welt« veröffentlichte. Den Band besorgte ich mir über das Otherland und obwohl die Lektüre eine Weile dauerte, war ich hinterher auch begeistert. Es stellt für mich immer noch den besten SF-Erzählungsband 2020 dar und auch wenn meine Nominierung für den KLP versandete, werd’ ich das weiterhin verbreiten. Ich habe auch immer noch die feste Absicht, das Buch zu besprechen, aber so einfach ist das bei den sperrigen Texten nicht.
Wie auch immer, die Geschichten sind toll, abwechslungsreich und sehr literarisch geschrieben und machten mich sehr neugierig auf Charlotte Krafft.
Die jetzt an der Gesprächsrunde Stimmen der Kritik #4 teilnahm zusammen mit Joshua Groß und Rudi Nuss. Ein Projekt der germanistischen Fakultät der FU von Jutta Müller-Tamm, die auch den Abend eröffnete.
Zunächst las Simon Schleusener eine wissenschaftliche Arbeit zur Einordnung des Themas Kritik in das Schaffen der Diskutierenden. Im Wesentlichen fanden sich ihre Namen in einem Buch, das das Wort Kritik im Titel trug, so mein Eindruck, aber ich erfuhr hier dass auch die beiden anderen Teilnehmer Science-Fiction schrieben!
Quasi ein Volltreffer.
Der Abend war ja an sich schon ungewöhnlich. Mein bester Freund liebt es, von mir zu Kulturveranstaltungen mitgenommen zu werden und so entschied er recht spontan, dass diese Veranstaltung cool klänge. Ich besorgte erstmals personalisierte Online-Tickets für das LCB – normalerweise gibt’s da immer solche grauen Papierschnipsel aus dem Schreibwarenladen. Aber vielleicht auch durch Corona ist die Webseite des LCBs deutlich moderner geworden. Es fand ja auch eine Zeit alles nur online statt.
Dann galt natürlich 2G und tatsächlich war der Eintritt auch noch frei, da alles durch die Uni gestemmt wurde. Und während ich normalerweise im LCB zu den Jüngsten des Publikums zählte, stellten wir beide dieses Mal die Alterspräsidenten, was meinen Freund zu dem Hinweis veranlasste, dass uns das in Zukunft öfter so gehen wird.
Nunja, er hatte wohl zu viel November. Jedenfalls sah es stark nach studentischer Basis aus und leider war die Veranstaltung nicht so gut besucht. Aber an einem Novembermontag im tiefsten Westen der Stadt sollte man auch nicht zu viel erwarten. Übrigens erkannte ich dann später auch tatsächlich Anja Kümmel unter den Gästen.
Das Thema war zwar Kritik, aber das fand sich dann eher am Rande. Nach dem germanistischen Essay las Joshua Groß eine Kurzgeschichte, in der es um einen Aufenthalt in Porto ging, der durch die ständige Nennung des chilenischen Comickünstlers und Regisseurs Alejandro Jodorowsky bestimmt wurde. Joshua Groß veröffentliche letztes Jahr den SF-Roman »Flexen in Miami«, der völlig an mir vorbeiging, den ich aber nun wohl bald bestellen werde und durch den Titel an Juan S. Guses Miami Punk erinnerte – und an einen anderen außergewöhnlichen SF-Abend im LCB.
Joshua Groß dominierte nachher auch den Diskussionsteil und sprach mit dem Germanisten auf Augenhöhe. Wichtig erschien mir sein Hinweis, dass die Klassifizierung eines Buches meist nach einem Gesamteindruck erfolgt, obwohl eventuell Teile davon ganz anders sind. Ihm gefiel das nicht.
Charlotte Krafft las ihren Essay »PRAISE BOB« vor, in dem es um Fehler ging und dessen Teiltitel »Lob der Unsicherheit« lautete. Die Seiten klemmten in einem jener alten graumelierten Klemmhefter, dessen Einband man einmal ganz herumdrücken muss, um Seiten einklemmen zu können und in denen auch meine ersten Texte heute noch stecken.
Der Text um Poof, Pow, Wow und Why war teilweise witzig, teilweise ernst und sehr gern würde ich jetzt auch Texte ihres Erzählbandes von ihr vorgelesen bekommen. Sie signierte mir mein Exemplar hinterher und malte mit einem weißen Stift eine Palme hinein. Großartig, bezaubernd und cool!
Dieser Autorin werde ich durch ihre Texte folgen. Bin sehr gespannt, was sie noch so veröffentlicht. Sie verteidigte in der Diskussion die SF als innovatives Medium und ihr Hinweis auf Ursula K. Le Guin bescherte meinem Freund den nächste Lesetipp, nachdem ich ihn im letzten Monat mit Connie Willis »Farben der Zeit« versorgt hatte.
Sie wurde dann auch noch zum Thema Hyperironie befragt, wohl ein Begriff, den sie mal irgendwo in einem anderen Essay definierte, heute aber nicht mehr ganz so zwingend findet, es sei denn, sie liest ihr Essay; was schon ziemlich lustig war.
Rudi Nuss stellte uns sein Romanprojekt »Die Realität kommt« vor. Die stakkatoartig vorgetragenen Szenen klangen für mich nach typischer Schrottplatz-Dystopie. Hatte durch den Vortrag einen gewissen Reiz, inhaltlich eher nicht. Aber der Autor arbeitet sich da an für ihn wichtigen Themen ab, geht das sehr poetisch an und vielleicht trägt diese Stimmung ja den Roman, der nächstes Jahr erscheinen wird.
In der Diskussion ging es eher um die Rolle der SF, Möglichkeiten der Rap-Sprache und irgendwann entschied ich, zu Hause das Wort »artifiziell« nachzuschlagen, da es so häufig vorkam, ohne dass sich mir der Sinn direkt aus dem Kontext erschloss. Es bedeutet künstlich. Tja, hätte ich mir aus dem Englischen herleiten können, AI – ich alter SF-Banause – aber so recht fällt mir kein Grund ein, »künstlich« auszutauschen.
Das Fazit des Abends fällte mein Freund: Kluges von klugen Menschen zu hören, ist immer ein Gewinn. Und kommt nicht so oft vor.
Außer man geht ab und zu ins LCB.
Verdampfte Victoria
Auch in der Moabiter Kulturbremse geht’s wieder los. Noopi und Amandara nutzten die Gelegenheit, dass der Klett-Cotta Verlag eine kleine Lesereise der britischen Autorin Natasha Pulley durchführt, und organisierten eine kleine Lesung anlässlich des Erscheinens von »Der Uhrmacher in der Filigree Street«.
Das Buch kam bei unserem Rezensenten im Fantasyguide nicht so gut weg, ist aber prämiert, in zehn Sprachen übersetzt, Deutsch ist die Jüngste, und erfolgreich.
Natasha las zunächst ein Stückchen aus dem Beginn und obwohl sie sich selbst keine großen Fähigkeiten beim Vorlesen von Dialogen zusprach, meisterte sie den Part ganz famos.
Amandara gab dann eine ihrer Lieblingsstellen zum besten, die im zweiten Handlungsplot angesiedelt ist. Dort geht es um einen jungen Japaner, der sich entschließt, in die koloniale britische Bürokratie einzutreten, aber nur für zehn Jahre, denn dann habe er etwas in London zu erledigen. Und dort, im Herzen der viktorianischen Welt, spielt dann der andere Plot um eine rätselhafte Uhr, die Unglücke vorherzusagen scheint.
Das Ganze klang für mich in beiden Sprachen eigentlich sehr gut und wenn Budget, SUB und Zeit nicht gerade streikten, wäre ich wohl der Buchkaufverführung erlegen.
In der kurzen Fragerunde konnte die Autorin zeigen, wie euphorisch angloamerikanische Autor·innen für gewöhnlich in solchen Panels auftreten und so zeigte sie sich etwa sehr entzückt von Noopis kleinem Theater.
Mich interessierte, was denn für sie den Reiz des Viktorianischen Zeitalters ausmache, der gefühlt in fast allen Urban-Fantasyromanen von der Insel Handlungshintergrund ist. Als Übersetzerin des Abends fungierte Claudia Rapp, die sich gewohnt herzlich der Aufgabe widmete, obwohl Natasha durchaus gut Deutsch versteht.
Für mich überraschend begründete sie die Häufung damit, dass zum einen diese Zeit nur vier, fünf Generationen entfernt läge, sich die englische Sprache von damals kaum zur heutigen unterscheide und man insgesamt leicht recherchieren könne, was man für seine Werke benötigt. Man reise eben lieber auf einen Kurztrip nach Frankreich, als die beschwerliche Reise nach China zu wagen, so in etwa beschrieb sie das.
So habe ich das noch gar nicht betrachtet und auf Deutschland bezogen passt das vielleicht auch nicht. Zum einen hat die Nazizeit unsere Geschichtskontinuität heftig erschüttert und steht wie ein Achttausender vor unseren Blicken ins Tal des 19. Jahrhunderts und zum anderen ist meinem Gefühl nach jenes »Deutschland« nicht nebenan, sondern mehrere Zeitalter weit entfernt. Das hat man schon in der Schule gemerkt, als man mit Effie Briest und den Buddenbrooks gequält wurde.
Als Engländer·in fühlt man das natürlich anders, wie mir mehrere Besuche auf der Insel verdeutlichten. Auch in Frankreich ist das so.
Der Übersetzer des Buches, Jochen Schwarzer, ergänzte mit seiner warmen Säuselstimme, dass im 19. Jahrhundert ein großer technologischer Wandel stattfand, dessen Bewunderung er im Buch spürte. Ihn hätten bei der Recherche zur Übersetzung etwa überrascht, dass es mit dem Ausbau der Telegrafenkabel eine Art viktorianisches Internet mit Verschlüsselung etc. gegeben habe und die London Underground zunächst mit Dampfloks in den Tunneln und schmalen Haltestellen unterwegs war.
Diese Feststellung führte dann zur Diskussion um den Smog jener Zeit, die damit verbundenen Todeszahlen durch Lungenkrankheiten und der eigentlichen Farbe und Konsistenz des Londoner Nebels zur Zeit Queen Victorias.
Das ist ja immer so ein bisschen mein Problem mit den Fantasy-Geschichten, die sich vergangene Epochen als Handlungsort auserkiesen, sei es das Mittelalter oder eben das 19. Jahrhundert – es werden meist kuschelige Orte erfunden, die es dort kaum gab. Zumindest für die Mehrheit der Menschen nicht.
Aber das ist ja in vielen Geschichten auch nicht das Thema. Das Böse ist der dunkle Magier, ein Elf oder tumbe Machtgier; nicht die Umweltverschmutzung durch Kohleöfen oder die Lebensumstände der Grubenarbeiterfamilien.
Und doch war diese Lesung für mich ein kuscheliger Ort in einer Oktobernacht, in der es um Literatur, Geschichte und die Zukunft der Szene ging. Amandara kündigte nämlich für Dezember die Eröffnung eines neuen Veranstaltungsortes an, wo zukünftig die Phantastik-Lesungen stattfinden, während in der Kulturbremse die Autor·innen der Gegenwartsliteratur zu Wort kämen. Ich bin gespannt!
Des Nachts klopft Dunkles an die Tür
Nach durchgestürmten Herbstnachmittagen war es mir eine große Freude, wieder in den Prenzlberg zu ziehen und einer neuen Tresenlesung im Periplanata Literaturcafé beizuwohnen. Da ich früh genug erschien, konnte ich noch Verlegerin Mary Hallo sagen, die mit dem »Chef«, dem erstaunlich schnell gewachsenen Milchbart, kurz vor dem Sprung nach Hause und zu einem tollen Omelett mit Krümelkäse war.
Tresengast des Tages aber war Sascha Dinse, den ich nicht nur aus diversen phantastischen Veröffentlichungen, einer Lesung und einem Treff auf dem BuCon 2018 her kenne, sondern dem ich auch auf Twitter folge und so immer mal wieder einen Blick in seine Arbeit als Autor erhaschen konnte.
Er las natürlich aus seinen »Krassen Kurzen« vor, dunkle und oft phantastische Kurzgeschichten, deren Länge konstant limitiert ist und so einer strengen Regel unterworfen sind, die Sascha zu meistern weiß. Allerdings setze er für den zweiten Band der »Krassen Kurzen« die Grenze ein klein wenig herauf, da er beim Schreiben dann doch spürte, dass die Fesseln zu straff saßen.
Der wie immer zum Plaudern aufgelegte Gastgeber Tom Manegold kramte einen passenden Texte und ein Gedicht aus seinem umfangreichen Schaffen hervor und bebilderte so den düster untermalten Abend mit seinem eigenen Alpträumen vor dem Scrolldesaster.
Sascha mag es es, seine Geschichten mit versteckten Eastereggs zu schmücken, über die er auf seinen Twitch-Lesungen und für seine Patreon-Unterstützer·innen die Hintergründe aufdeckt. Zudem gibt es im zweiten Band der kurzen Krassen Fortsetzungen zu einigen der Geschichten aus dem ersten und auch im dritten Band wird es derartige Verkettungen geben. Sie sind sogar ganz leicht zu identifizieren, da sie in jedem Band an gleicher Stelle anhand des Inhaltsverzeichnisses zu finden sind, so der Autor. Ob das bei unterschiedlicher Anzahl der Storys auch stimmt, muss man schon selbst herausfinden.
Ich zumindest holte mir Band zwei nun auch endlich.
Es wurde viel geredet und leider forderte irgendwann das frühe Aufstehen seinen Tribut und ich musste müde in die Dunkelheit hinaus. Aber natürlich halte ich wachsam das Eventprogramm des Verlages im Auge – also bis zur nächsten dunklen Lesungsnacht!
Der lange Weg zurück
Nach anderthalb Jahren konnte ich gestern endlich wieder zu einer in natura Lesung gehen! periplaneta startete diesen Monat wieder das TresenLesen und wer den tieftraurigen Blogbeitrag von Tom Manegold, Wir sind Helden, gelesen hat, wird wissen, was diese Lesereihe für den Verlag, das Café und die Held·innen dahinter bedeutet.
Mir war es tatsächlich egal, wie das Programm aussah, Hauptsache wieder eine Lesung!
Vorgestellt wurde ein Buch aus der neuen Hardcover-Reihe des Verlags: Liberdade von Theresa Rath.

Es geht um eine junge Medizinstudentin aus München, die in einer für sie toxischen Beziehung lebt, ohne es zu merken, und erst durch einen Brasilienurlaub lernt, wer sie ist, wo sie herkommt und was das mit ihr macht – soweit mein Inhaltseindruck nach der Lesung.
Rollenbilder in Deutschland und Südamerika spielen ebenso eine wichtige Rolle, wie Liebe, Sex und Drogen – in Summe überhaupt nicht mein Lektüreinteresse, aber die Autorin hat wunderbar vorgelesen und vermittelte einen angenehmen Schreibstil. Das Ganze mit etwas Phantastik gewürzt und ich wäre Zielpublikum.

Der Abend wurde von Tom moderiert, der das Buch auch lektorierte und so entwickelten sich immer wieder schöne Dispute zwischen Theresa und ihm über Content Notes, Machismo, Privilegien und die Bedeutungslosigkeit von Sondierungen in Anbetracht existentieller Nöte.

Ich hab das alles einfach nur genossen und bin immer noch sehr glücklich, da gewesen zu sein. Bitte macht weiter!