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Die Artifiziellisierung der Kritik im dystopischen Krieg der Hyperironie
Das Programm des Literarischen Colloquiums Berlin scanne ich regelmäßig nach Veranstaltungen mit interessanten Themen sowie Büchern und Menschen, die mich faszinieren. So fiel mir im Novemberprogramm der Name Charlotte Krafft auf.
Schuld an meinem Interesse an dieser Autorin ist Anja Kümmel, die im Tagesspiegel eine euphorische Besprechung des Erzählungsbandes »Die Palmen am Strand von Acapulco, sie nicken – Eine endlose Geschichte über den Tod in einer fremden Welt« veröffentlichte. Den Band besorgte ich mir über das Otherland und obwohl die Lektüre eine Weile dauerte, war ich hinterher auch begeistert. Es stellt für mich immer noch den besten SF-Erzählungsband 2020 dar und auch wenn meine Nominierung für den KLP versandete, werd’ ich das weiterhin verbreiten. Ich habe auch immer noch die feste Absicht, das Buch zu besprechen, aber so einfach ist das bei den sperrigen Texten nicht.
Wie auch immer, die Geschichten sind toll, abwechslungsreich und sehr literarisch geschrieben und machten mich sehr neugierig auf Charlotte Krafft.
Die jetzt an der Gesprächsrunde Stimmen der Kritik #4 teilnahm zusammen mit Joshua Groß und Rudi Nuss. Ein Projekt der germanistischen Fakultät der FU von Jutta Müller-Tamm, die auch den Abend eröffnete.
Zunächst las Simon Schleusener eine wissenschaftliche Arbeit zur Einordnung des Themas Kritik in das Schaffen der Diskutierenden. Im Wesentlichen fanden sich ihre Namen in einem Buch, das das Wort Kritik im Titel trug, so mein Eindruck, aber ich erfuhr hier dass auch die beiden anderen Teilnehmer Science-Fiction schrieben!
Quasi ein Volltreffer.
Der Abend war ja an sich schon ungewöhnlich. Mein bester Freund liebt es, von mir zu Kulturveranstaltungen mitgenommen zu werden und so entschied er recht spontan, dass diese Veranstaltung cool klänge. Ich besorgte erstmals personalisierte Online-Tickets für das LCB – normalerweise gibt’s da immer solche grauen Papierschnipsel aus dem Schreibwarenladen. Aber vielleicht auch durch Corona ist die Webseite des LCBs deutlich moderner geworden. Es fand ja auch eine Zeit alles nur online statt.
Dann galt natürlich 2G und tatsächlich war der Eintritt auch noch frei, da alles durch die Uni gestemmt wurde. Und während ich normalerweise im LCB zu den Jüngsten des Publikums zählte, stellten wir beide dieses Mal die Alterspräsidenten, was meinen Freund zu dem Hinweis veranlasste, dass uns das in Zukunft öfter so gehen wird.
Nunja, er hatte wohl zu viel November. Jedenfalls sah es stark nach studentischer Basis aus und leider war die Veranstaltung nicht so gut besucht. Aber an einem Novembermontag im tiefsten Westen der Stadt sollte man auch nicht zu viel erwarten. Übrigens erkannte ich dann später auch tatsächlich Anja Kümmel unter den Gästen.
Das Thema war zwar Kritik, aber das fand sich dann eher am Rande. Nach dem germanistischen Essay las Joshua Groß eine Kurzgeschichte, in der es um einen Aufenthalt in Porto ging, der durch die ständige Nennung des chilenischen Comickünstlers und Regisseurs Alejandro Jodorowsky bestimmt wurde. Joshua Groß veröffentliche letztes Jahr den SF-Roman »Flexen in Miami«, der völlig an mir vorbeiging, den ich aber nun wohl bald bestellen werde und durch den Titel an Juan S. Guses Miami Punk erinnerte – und an einen anderen außergewöhnlichen SF-Abend im LCB.
Joshua Groß dominierte nachher auch den Diskussionsteil und sprach mit dem Germanisten auf Augenhöhe. Wichtig erschien mir sein Hinweis, dass die Klassifizierung eines Buches meist nach einem Gesamteindruck erfolgt, obwohl eventuell Teile davon ganz anders sind. Ihm gefiel das nicht.
Charlotte Krafft las ihren Essay »PRAISE BOB« vor, in dem es um Fehler ging und dessen Teiltitel »Lob der Unsicherheit« lautete. Die Seiten klemmten in einem jener alten graumelierten Klemmhefter, dessen Einband man einmal ganz herumdrücken muss, um Seiten einklemmen zu können und in denen auch meine ersten Texte heute noch stecken.
Der Text um Poof, Pow, Wow und Why war teilweise witzig, teilweise ernst und sehr gern würde ich jetzt auch Texte ihres Erzählbandes von ihr vorgelesen bekommen. Sie signierte mir mein Exemplar hinterher und malte mit einem weißen Stift eine Palme hinein. Großartig, bezaubernd und cool!
Dieser Autorin werde ich durch ihre Texte folgen. Bin sehr gespannt, was sie noch so veröffentlicht. Sie verteidigte in der Diskussion die SF als innovatives Medium und ihr Hinweis auf Ursula K. Le Guin bescherte meinem Freund den nächste Lesetipp, nachdem ich ihn im letzten Monat mit Connie Willis »Farben der Zeit« versorgt hatte.
Sie wurde dann auch noch zum Thema Hyperironie befragt, wohl ein Begriff, den sie mal irgendwo in einem anderen Essay definierte, heute aber nicht mehr ganz so zwingend findet, es sei denn, sie liest ihr Essay; was schon ziemlich lustig war.
Rudi Nuss stellte uns sein Romanprojekt »Die Realität kommt« vor. Die stakkatoartig vorgetragenen Szenen klangen für mich nach typischer Schrottplatz-Dystopie. Hatte durch den Vortrag einen gewissen Reiz, inhaltlich eher nicht. Aber der Autor arbeitet sich da an für ihn wichtigen Themen ab, geht das sehr poetisch an und vielleicht trägt diese Stimmung ja den Roman, der nächstes Jahr erscheinen wird.
In der Diskussion ging es eher um die Rolle der SF, Möglichkeiten der Rap-Sprache und irgendwann entschied ich, zu Hause das Wort »artifiziell« nachzuschlagen, da es so häufig vorkam, ohne dass sich mir der Sinn direkt aus dem Kontext erschloss. Es bedeutet künstlich. Tja, hätte ich mir aus dem Englischen herleiten können, AI – ich alter SF-Banause – aber so recht fällt mir kein Grund ein, »künstlich« auszutauschen.
Das Fazit des Abends fällte mein Freund: Kluges von klugen Menschen zu hören, ist immer ein Gewinn. Und kommt nicht so oft vor.
Außer man geht ab und zu ins LCB.
Verdampfte Victoria
Auch in der Moabiter Kulturbremse geht’s wieder los. Noopi und Amandara nutzten die Gelegenheit, dass der Klett-Cotta Verlag eine kleine Lesereise der britischen Autorin Natasha Pulley durchführt, und organisierten eine kleine Lesung anlässlich des Erscheinens von »Der Uhrmacher in der Filigree Street«.
Das Buch kam bei unserem Rezensenten im Fantasyguide nicht so gut weg, ist aber prämiert, in zehn Sprachen übersetzt, Deutsch ist die Jüngste, und erfolgreich.
Natasha las zunächst ein Stückchen aus dem Beginn und obwohl sie sich selbst keine großen Fähigkeiten beim Vorlesen von Dialogen zusprach, meisterte sie den Part ganz famos.
Amandara gab dann eine ihrer Lieblingsstellen zum besten, die im zweiten Handlungsplot angesiedelt ist. Dort geht es um einen jungen Japaner, der sich entschließt, in die koloniale britische Bürokratie einzutreten, aber nur für zehn Jahre, denn dann habe er etwas in London zu erledigen. Und dort, im Herzen der viktorianischen Welt, spielt dann der andere Plot um eine rätselhafte Uhr, die Unglücke vorherzusagen scheint.
Das Ganze klang für mich in beiden Sprachen eigentlich sehr gut und wenn Budget, SUB und Zeit nicht gerade streikten, wäre ich wohl der Buchkaufverführung erlegen.
In der kurzen Fragerunde konnte die Autorin zeigen, wie euphorisch angloamerikanische Autor·innen für gewöhnlich in solchen Panels auftreten und so zeigte sie sich etwa sehr entzückt von Noopis kleinem Theater.
Mich interessierte, was denn für sie den Reiz des Viktorianischen Zeitalters ausmache, der gefühlt in fast allen Urban-Fantasyromanen von der Insel Handlungshintergrund ist. Als Übersetzerin des Abends fungierte Claudia Rapp, die sich gewohnt herzlich der Aufgabe widmete, obwohl Natasha durchaus gut Deutsch versteht.
Für mich überraschend begründete sie die Häufung damit, dass zum einen diese Zeit nur vier, fünf Generationen entfernt läge, sich die englische Sprache von damals kaum zur heutigen unterscheide und man insgesamt leicht recherchieren könne, was man für seine Werke benötigt. Man reise eben lieber auf einen Kurztrip nach Frankreich, als die beschwerliche Reise nach China zu wagen, so in etwa beschrieb sie das.
So habe ich das noch gar nicht betrachtet und auf Deutschland bezogen passt das vielleicht auch nicht. Zum einen hat die Nazizeit unsere Geschichtskontinuität heftig erschüttert und steht wie ein Achttausender vor unseren Blicken ins Tal des 19. Jahrhunderts und zum anderen ist meinem Gefühl nach jenes »Deutschland« nicht nebenan, sondern mehrere Zeitalter weit entfernt. Das hat man schon in der Schule gemerkt, als man mit Effie Briest und den Buddenbrooks gequält wurde.
Als Engländer·in fühlt man das natürlich anders, wie mir mehrere Besuche auf der Insel verdeutlichten. Auch in Frankreich ist das so.
Der Übersetzer des Buches, Jochen Schwarzer, ergänzte mit seiner warmen Säuselstimme, dass im 19. Jahrhundert ein großer technologischer Wandel stattfand, dessen Bewunderung er im Buch spürte. Ihn hätten bei der Recherche zur Übersetzung etwa überrascht, dass es mit dem Ausbau der Telegrafenkabel eine Art viktorianisches Internet mit Verschlüsselung etc. gegeben habe und die London Underground zunächst mit Dampfloks in den Tunneln und schmalen Haltestellen unterwegs war.
Diese Feststellung führte dann zur Diskussion um den Smog jener Zeit, die damit verbundenen Todeszahlen durch Lungenkrankheiten und der eigentlichen Farbe und Konsistenz des Londoner Nebels zur Zeit Queen Victorias.
Das ist ja immer so ein bisschen mein Problem mit den Fantasy-Geschichten, die sich vergangene Epochen als Handlungsort auserkiesen, sei es das Mittelalter oder eben das 19. Jahrhundert – es werden meist kuschelige Orte erfunden, die es dort kaum gab. Zumindest für die Mehrheit der Menschen nicht.
Aber das ist ja in vielen Geschichten auch nicht das Thema. Das Böse ist der dunkle Magier, ein Elf oder tumbe Machtgier; nicht die Umweltverschmutzung durch Kohleöfen oder die Lebensumstände der Grubenarbeiterfamilien.
Und doch war diese Lesung für mich ein kuscheliger Ort in einer Oktobernacht, in der es um Literatur, Geschichte und die Zukunft der Szene ging. Amandara kündigte nämlich für Dezember die Eröffnung eines neuen Veranstaltungsortes an, wo zukünftig die Phantastik-Lesungen stattfinden, während in der Kulturbremse die Autor·innen der Gegenwartsliteratur zu Wort kämen. Ich bin gespannt!
Des Nachts klopft Dunkles an die Tür
Nach durchgestürmten Herbstnachmittagen war es mir eine große Freude, wieder in den Prenzlberg zu ziehen und einer neuen Tresenlesung im Periplanata Literaturcafé beizuwohnen. Da ich früh genug erschien, konnte ich noch Verlegerin Mary Hallo sagen, die mit dem »Chef«, dem erstaunlich schnell gewachsenen Milchbart, kurz vor dem Sprung nach Hause und zu einem tollen Omelett mit Krümelkäse war.
Tresengast des Tages aber war Sascha Dinse, den ich nicht nur aus diversen phantastischen Veröffentlichungen, einer Lesung und einem Treff auf dem BuCon 2018 her kenne, sondern dem ich auch auf Twitter folge und so immer mal wieder einen Blick in seine Arbeit als Autor erhaschen konnte.
Er las natürlich aus seinen »Krassen Kurzen« vor, dunkle und oft phantastische Kurzgeschichten, deren Länge konstant limitiert ist und so einer strengen Regel unterworfen sind, die Sascha zu meistern weiß. Allerdings setze er für den zweiten Band der »Krassen Kurzen« die Grenze ein klein wenig herauf, da er beim Schreiben dann doch spürte, dass die Fesseln zu straff saßen.
Der wie immer zum Plaudern aufgelegte Gastgeber Tom Manegold kramte einen passenden Texte und ein Gedicht aus seinem umfangreichen Schaffen hervor und bebilderte so den düster untermalten Abend mit seinem eigenen Alpträumen vor dem Scrolldesaster.
Sascha mag es es, seine Geschichten mit versteckten Eastereggs zu schmücken, über die er auf seinen Twitch-Lesungen und für seine Patreon-Unterstützer·innen die Hintergründe aufdeckt. Zudem gibt es im zweiten Band der kurzen Krassen Fortsetzungen zu einigen der Geschichten aus dem ersten und auch im dritten Band wird es derartige Verkettungen geben. Sie sind sogar ganz leicht zu identifizieren, da sie in jedem Band an gleicher Stelle anhand des Inhaltsverzeichnisses zu finden sind, so der Autor. Ob das bei unterschiedlicher Anzahl der Storys auch stimmt, muss man schon selbst herausfinden.
Ich zumindest holte mir Band zwei nun auch endlich.
Es wurde viel geredet und leider forderte irgendwann das frühe Aufstehen seinen Tribut und ich musste müde in die Dunkelheit hinaus. Aber natürlich halte ich wachsam das Eventprogramm des Verlages im Auge – also bis zur nächsten dunklen Lesungsnacht!
Der lange Weg zurück
Nach anderthalb Jahren konnte ich gestern endlich wieder zu einer in natura Lesung gehen! periplaneta startete diesen Monat wieder das TresenLesen und wer den tieftraurigen Blogbeitrag von Tom Manegold, Wir sind Helden, gelesen hat, wird wissen, was diese Lesereihe für den Verlag, das Café und die Held·innen dahinter bedeutet.
Mir war es tatsächlich egal, wie das Programm aussah, Hauptsache wieder eine Lesung!
Vorgestellt wurde ein Buch aus der neuen Hardcover-Reihe des Verlags: Liberdade von Theresa Rath.

Es geht um eine junge Medizinstudentin aus München, die in einer für sie toxischen Beziehung lebt, ohne es zu merken, und erst durch einen Brasilienurlaub lernt, wer sie ist, wo sie herkommt und was das mit ihr macht – soweit mein Inhaltseindruck nach der Lesung.
Rollenbilder in Deutschland und Südamerika spielen ebenso eine wichtige Rolle, wie Liebe, Sex und Drogen – in Summe überhaupt nicht mein Lektüreinteresse, aber die Autorin hat wunderbar vorgelesen und vermittelte einen angenehmen Schreibstil. Das Ganze mit etwas Phantastik gewürzt und ich wäre Zielpublikum.

Der Abend wurde von Tom moderiert, der das Buch auch lektorierte und so entwickelten sich immer wieder schöne Dispute zwischen Theresa und ihm über Content Notes, Machismo, Privilegien und die Bedeutungslosigkeit von Sondierungen in Anbetracht existentieller Nöte.

Ich hab das alles einfach nur genossen und bin immer noch sehr glücklich, da gewesen zu sein. Bitte macht weiter!
Kapitalistische Ubermacht
Mein bester Freund reist demnächst nach Argentinien, um dort ein paar Wochen zu wandern. Deshalb wollte er sich vorher noch einmal treffen und natürlich sollte der Abend nicht nur etwas in den Magen, sondern auch etwas ins Hirn bringen. Als offizieller Kulturbeauftragter unser Beziehung schlug ich den Besuch einer meiner Lieblingsveranstaltungsorte vor: Das Periplaneta-Literaturcafé in der Bornholmer Straße.

Dort amtiert ja seit 20 Monaten ein neuer Chef und wie das bei diesen jungen Hipstern so ist, brachte er Verlag und Belegschaft nicht nur auf Trab, sondern auch durcheinander, sodass es jetzt Freitags das TresenLesen gibt.

Das ich das eh mal probieren wollte, zuckelten wir also nach dem leckeren Koreaner-Besuch am letzten Freitag dort hin.
Der Abend stand unter dem Zeichen der periplaneta-Edition SubKultur, drei der dort veröffentlichten Autoren stellten ihre Werke vor, darunter auch mit einer Buchpremiere.

Verleger Tom Manegold gab den Barkeeper, wie er selbst es nannte, der unterbezahlteste Job im Gesundheitswesen, und zugleich wies er auf die Unschärfe des Konzeptes TresenLesen hin, da ja der Tresen während der Lesung für die Zuhörenden gesperrt ist.

Zunächst wurde ein Jingle eingespielt und dann traten auf: Joost Renders, Christian Schmitz und Kristjan Knall. Letzterer hatte keine Robbe, sondern eine Fellmütze auf dem Kopf, wegen der die Heizung runtergedreht wurde.

Den Anfang machte Christian Schmitz, der schreibende Taxifahrer. Mit schönem Berliner Dialekt trug er seine Geschichten aus dem Leben vor. Mit seinen Fahrgästen erlebt er viel und er führt eine Statistik über die Anzahl der wirklich schlimmen Leute, die in seine Taxe steigen . Entgegen den Vermutungen beträgt sie nur 0,3%. Wären es mehr, würde ihm sein Beruf auch gar keinen Spaß mehr machen. Es hat seine Erlebnisse und Gedanken auch zu Buch gebracht: »Der Fuchsflüsterer vom Zeltinger Platz«, na klar in der Edition SubKultur erschienen. Seine Alltagsgeschichten präsentierte Christian Schmitz mit linker Gesinnung, dem Herz auf der Zunge und Spitzen gegen ausbeuterische Fahrdienste.

Danach wurde per Moralomat ein Thema für den Lesebühnenabend bestimmt. Heraus kam: »Freundschaft ist schließlich echt daneben.« Quasi Hass, wie festgestellt wurde. »So erschließt sich langsam das Konzept und alle glauben, dass wir es einfach so geplant haben.«, merkte Tom an.
Thematisch passend durfte dann Kristjan Knall ans Mikrophon, der schon diverse satirische Rant-Bücher veröffentlichte, darunter »Neukölln – Ein Elendsbezirk schießt zurück«, aus dem er auch vorlas. Tom präsentierte später dann auch das Cover zu Knalls nächstem Werk: »Heldenhass«, das zur Buchmesse erscheint.

Die Texte sind teils sehr böse, nicht unbedingt lustig und mit viel Spaß an der Provokation. Was zum Motto »Da kri’st ja ’nen Knall« passt.
Es ist »[…] Satire mit Fußnoten. Also wenn man denkt, so’n Scheiß kann man sich nicht ausdenken, dann wird einem in diesem Buch aufs Butterbrot geschmiert, dass das alles wahr ist.«, stellte Tom den Autor vor. »Es ist übrigens die Hölle, ihn zu setzen, weil es gibt da dreizeilige Fußnoten … es ist so ähnlich wie Pornogucken, wo man gucken muss, ob man die Seite verbieten darf.« Ein Verlegerleben ist echt nicht einfach.
Der Dritte im Bunde, Joost Renders, präsentierte in einer Buchpremiere Episoden aus Berlin in »Hop On Hop Off«. Das orangene Cover stellte eher unbewusst den Hollandbezug her und verwies auf den Migrationshintergrund des Autors. Das Cover gewann übrigens sehr durch das Ausweichen auf einen professionellen Grafiker, wie Tom durch eine kleine Bilderserie der früheren, von ihm selbst erstellten, Versionen demonstrierte.

Joost Renders las aus verschieden Teilen des Romans und daraus ergab sich ein sehr skurriles Kaleidoskop unseres geliebten Hauptdorfes.
Nach der Pause verloste die Tresengemeinschaft zunächst seltsame Getränke und die Stimmung wurde immer lockerer. Jeder las noch weitere Texte vor, selbst Tom stürmte ans Mikrophon und rezitierte seinen Text »Berlin am Meer«, den ich schon irgendwann mal hier gehört hatte.

Das TresenLesen SubKultur-Special endete mit donnerndem Applaus und wir zogen in die milde Vorfrühlingsluft des Prenzlauer Berges.

Gobelin-Gemetzel im Waschhaus
Die erste Lesung des Jahres fand in einer gemütlichen Neuköllner Kneipe statt.

Stephan Urbach vom Ach je Verlag lud ins Posh Teckel, um zwei seiner Autoren die Gelegenheit zu geben, ihre neuesten Veröffentlichungen vorzustellen.

Als großer Fan von Jasper Nicolaisen freute ich besonders auf sein neuestes Werk »Totes Zen«, das allerdings noch nicht in gedruckter Form vorlag.
Besser hatte es Daniel Decker, dessen Horror-Büchlein »Dør« man nach der Lesung käuflich erwerben konnte, nebst der Erzählung »Pitsch!« von Jasper.
Die Beginnzeit wurde unverkrampft großzügig interpretiert um den Nachtschwärmern eine Chance zur Teilnahme zu bieten. Dann jedoch wurde der kleine Lesungssaal gut ausgefüllt.

»Dør« enthält Unterlagen, die Daniel von seiner Freundin Susann Jakobus-Drechsler erhielt und die Geschichte einer seltsamen Band, ihrer Musik und den nachfolgenden Ermittlungen erzählt. Daniel las aus den ersten Kapiteln vor, sorgfältig bemüht, die sprachlichen Fallstricke seines Romans zu umgehen. Wer verwendet das Wort Wachhaus und wer verlegt sowas? Waschhaus geht doch viel flotter von der Zunge!

Das machte auf jeden Fall Laune, den Roman zu lesen, zumal mich der Verleger großzügig mit einem Freiexemplar beschenkte.
Nach der Pause brüllte Jasper die Nachtschwärmer zurück zur Lesung und begann aus »Totes Zen« vom Handy zu lesen, nicht ohne vorab ein Echt-Zitat zu bringen. Echt Echt? Ja.

Eine gewollt verkrampfte Lesehaltung spiegelte das Lebensgefühl des Protagonisten wieder. »Totes Zen« entstand vor vielen Jahren, als Jasper meinte, in der Elternzeit viel Zeit zum Schreiben zu haben. Das war nicht so und deshalb schlichen sich von Anfang an andere Themen in das angedachte Fantasy-Setting, etwa die Beziehung zwischen Vater und Kind. Es geht um Krass, Barbar und Ich-Erzähler, der glücklich die Akademie von Hawat absolviert hat, einen Abschluss in Barbarei und Berserkertum sein eigen nennt und sich auf die Suche nach seinem Vater macht, von dessen Existenz er erst vor kurzem erfuhr. Nun ist der aber ein finsterer Gott …

Ich fühlte mich zurückversetzt in alte Schlotzen & Kloben Zeiten, da sich Simon Weinert, Jakob Schmidt und Jasper damit auszustechen versuchten, die abgefahrensten Fantasy-Geschichten zu kreieren. »Totes Zen« muss ich unbedingt lesen. Und mir ist es auch völlig Wurscht, ob Goblins es hassen, mit Gobelins verwechselt zu werden.

Im Anschluss kredenzte uns Jasper noch in Gänze »Pitsch!«, eine, nun ja, nicht ganz horrorfreie Aufklärung über Feen. So in etwa hatte ich mir das mit denen auch gedacht. Wer noch nie Jasper hat vortragen hören, hat noch nicht wirklich etwas erlebt. Der Mann ist grandios, pointiert, hat Sinn für Timing und schreibt sich die Texte auf den Leib. Lesebühnerfahrung der Meisterklasse.
Das Lesungsjahr hätte gar nicht besser starten können!