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Über Stock und Holm

Ich hatte mir dieses Jahr vorgenommen, ein wenig in den Programmen der Kleinverlage zu stöbern und Bücher zu probieren, die nicht primär zu meinen Lesevorlieben passen. Außerdem erliege ich ganz leicht Buchverführungen und so konnte ich einen Superdeal für die Valkyrie-Trilogie von Tina Skupin aus dem ohneohren Verlag nicht ignorieren.

So erwarb ich die drei Bücher im einheitlichen Design samt Gimmicks, wie einer Walkürebadeente, und hab den ersten Band im Sommer gelesen.

Frida für die Badewanne

»Zurück ins Jetzt« ist der Bericht der Walküre Frida, die im Auftrag Odins einen etwas peinlichen Fehler begeht und plötzlich im Stockholm unserer Tage wieder zu sich kommt. Asgard gilt als verschollen, die Norsen leben mehr oder weniger versteckt unter den Menschen und wollen keine Aufmerksamkeit erregen. Was Frida nun aber überhaupt nicht in die Wiege gelegt wurde.

»Zurück ins Jetzt« von Tina Skupin

Frida ist eine lustige Gesellin, der ich gern durch ihre Irrungen und Wirrungen folgte, wenn es auch recht bald klar wurde, dass ich hier eine typische Mary-Sue-Geschichte in den Händen hielt.

Aber wer will nicht mal als unbesiegbare Walküre mit einem Spraben für Die Freie Presse eintreten, mit Loki ein Tricktänzchen aufführen oder eine Prinzessin befreien, die Kirschblüte heißt und in einem Zuckerschloss wohnt? Ja, gerade letzteres kommt der Sache schon recht nahe.

Auf jeden Fall habe ich riesige Lust bekommen, nach Stockholm zu fahren, mir die Stadt mit strengem Norsen-Blick anzuschauen und nach veredeltem Glöck zu rufen.

Tina Skupin auf der buch Berlin 2019

Bestimmt werde ich sogar in die Folgebände reinschnuppern und vielleicht ist die Autorin mit Hut ja wieder mal live zu erleben, sodass ich mir die Bände signieren lassen kann.

Der Elfen Schatten zwischen den Zähnen

Mitten im Lockdown verkündete Uschi Zietsch, die wunderbare Autorin und Cheffin des Fabylon Verlages, dass sie ihre Urban-Fantasy-Reihe »Elfenzeit« ab Juli im eigenen Verlag herausbringen wird. Die 20-bändige Reihe erschien dereinst im Bertelsmann-Buchclub nur für Mitglieder. Frisch überarbeitet, in zehn Doppelbänden ginge es darin um böse Elfen.

Keine Ahnung, was mich veranlasste, spontan die Reihe zu abonnieren, wo ich mit Elfen eigentlich nichts am Hut, sondern eher an der Axt habe. Auf jeden Fall bekomme ich jetzt zehn Monate lang Elfenwerk ins Haus. Ob ich die Bände dann auch alle lese, sei dahingestellt – ich hab da einige unbeendete Reihen in den Regalen.

»Herbstfall« enthält die Romane »Der Hauch der Anderswelt« von Uschi Zietsch selbst und »Im Reich der Dunklen Frau« von Michael Marcus Thurner, den ich bisher nur von Maddrax und Perry Rhodan kannte.

Herbstfall von Uschi Zietsch und Michael Marcus Thurner, Cover: Stefan Keller

Der Beginn einer so epischen Reihe gehört natürlich der Vorstellungsrunde von Figuren, Hintergrund und dem Problem. In diesem Fall ist es der Einfall der Zeit in das Elfenreich und damit verbunden, die Möglichkeit des Sterbens durch Altern. Rettung verspricht die Menschenwelt. Hier nun begleiten wir eine ziemlich aufgedrehte junge Reporterin und einen traumatisierten Reporter, die quasi in das Elfenproblem und hineinstolpern. Denn der Elfenkönig hat seine Kinder, ein junges Zwillingspärchen ausgewählt, den Quell der Unsterblichkeit zu finden. Natürlich gibt es auch finstere Gegenspieler, die das selbe Problem haben, wobei hier »finster« keine wirkliche Unterscheidung bei den Elfen darstellt, denn beide Seiten sind irgendwie böse.

Probleme habe ich mit dem zugrundeliegenden Konzept, dass Elfen keine Seelen hätten und daher zu Liebe nicht fähig. Menschliche Seelen hingegen könnten ihnen dazu verhelfen oder zumindest zu Macht. Nun ja, »Seele« ist wie Homöopathie, man muss dran glauben. Die Schwäche dieses Konzeptes äußert sich darin, dass die Elfen durchaus Gefühle wie Hass, Furcht, Neid und Begierde empfinden können, warum nun gerade Liebe nicht? Vielleicht wird’s ja noch aufgeklärt.

Der erste Doppelschlag ist durchweg gut geschrieben und spannend, der zweite Band kam gerade an, muss aber noch warten, da ich mir unvernünftiger Weise wieder ein paar Rezi-Exemplare habe aufschwatzen lassen. Mehr von mir zur ersten »Elfenzeit« hier: Herbstfall von Uschi Zietsch und Michael Marcus Thurner

Sternenmaske des Todes

Beim BBE 2020, von dem ich jüngst berichtete, las auch Frederic Brake wieder einmal. Während der Begrüßung im Discord war ich ahnungslos im Flachserei-Modus, als er mich in nordisch trockener Art daran erinnerte, seine Anthologie »Sternentod« noch besprechen zu wollen.

Ohje. Ja, ich hatte das Buch vom Verlag bekommen, p.machinery bringt gefühlte 50 davon im Jahr heraus, aber mein Bedarf an zu rezensierenden Anthologien ist gering. Aber ich hatte das Buch da und auf dem letzten BuCon kam das Buch im Gespräch mit Frederic zu Wort …

Frederic Brake auf dem BuCon 2019

Jedenfalls ging ich nach der Lesung auf die Suche und fand »Sternentod« ordentlich bei den Anthos einsortiert. Also an einem von zig möglichen Orten – meine Bücherregale neigen dazu, chronisch an Überfüllung zu erkranken.

Das Buch hatte ich also in der Hand und ein Zähneknirschen begleitete den Fund: 430 Seiten, 20 Geschichten. Ich kannte nun meine Gründe, warum die Antho ungelesen ins Regal wanderte. Da kam eine Menge Arbeit auf mich zu, denn mein Anspruch an eine Antho-Rezi ist, zu jeder Geschichte etwas zu schreiben und dann auch zu jeder Autorin und jedem Autor eine Seite im Fantasyguide anzulegen. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis offenbarte mir, dass da viele neue Namen zu finden waren. Aber auch einige Bekannte. Mit Felix Woitkowski wuchs auch meine Hoffnung auf eine hohe Qualität.

»Sternentod« herausgegeben und mit einem Cover von Frederic Brake

Komplett unbekannt war mir allerdings der Name »Two Steps from Hell«. Deren Musik sollte die Inspiration der Texte sein, so die damalige Ausschreibung zur Antho. Tja, und da ich weder die Inspirationsquelle kannte, noch Klappentexte lese, war ich denn doch erstaunt, dass »Sternentod« keine SF-Kurzgeschichten enthielt, sondern Fantasy. Weder Titel noch Cover legten diesen Inhalt bei einem flüchtigen Blick nahe. Wobei das Cover schon Hinweise bietet und wenn man die Titelgeschichte liest passt das schon. Aber so richtig nach Fantasy duftet das Buch erst einmal nicht.

Und noch eine Überraschung gab es, denn ich hatte doch tatsächlich im Juni 2019 eine Lesung aus der Anthologie in Second Life besucht! Daran erinnerte ich mich aber erst beim Lesen der Geschichte von Gabi Behrendt, denn »Cohens Greife« waren mit tatsächlich im Gedächtnis geblieben. Leider hatte ich damals keinen Bericht geschrieben, aber ich fand den Ordner mit Screenshots und Notizen. Doch ganz nützlich, wenigstens das immer zu erstellen.

Screenshot aus der SL-Lesung, am rechten Rand sieht man die Avatare von Frederic und Gabi

Aber zur Anthologie. Mit jeder weiteren Geschichte wurde mir klarer, dass Frederic hier eine wirklich feine Sammlung zusammengestellt hatte. Es gibt keine wirklich schwache Geschichte, dafür jede Menge ganz unterschiedlicher, aber rundum gelungener Werke. Ein paar Kritikpunkte gab es schon, etwa gut gemeinter Feminismus der nach hinten losging, aber alles in allem ist »Sternentod« eine sehr gute Fantasy-Anthologie und ich bin mir sehr sicher, dass von den mir bisher unbekannten unter den Mitwirkenden noch weitere sehr gute Geschichten kommen werden.

Denn das ist das Gute an einer fleißigen Anthologieproduktion: Sie bietet Chancen zur Veröffentlichung. Wenn doch nur auch so viele KäuferInnen und LeserInnen von Kurzgeschichten nachwachsen würden.

Zu jeder Geschichte hörte ich mir hinterher auch die inspirierenden Songs an und zu einigen gab es sogar Videos. Keines der Stücke kam mir bekannt vor. Epische Filmmusik als Mischung aus Bombastrock und Mittelalter – für mich ohne bleibenden Eindruck, ich hätte mich schwer getan, inspiriert zu werden, aber in vielen der Texte konnte ich Elemente der Stücke wieder erkennen.

Ausführlicher zu den einzelnen Geschichten habe ich mich wieder in der Rezi ausgelassen: Sternentod herausgegeben von Frederic Brake

Natürlich ließ ich es mir auch nicht nehmen, endlich mal ein Interview mit Frederic für den Fantasyguide draufzupacken und da die Antworten fast postwendend kamen, konnte ich das Projekt sehr zufriedenstellend abschließen: Interview mit Frederic Brake

Die Liebe in mir ist das Böse in dir

Nach dem famosen »Shape Me« und dem coolen Interview mit ihr war klar, dass ich unbedingt mehr von Melanie Vogltanz lesen wollte und kaum gedacht, brachte sie auch schon ihr nächstes Buch heraus: »Schwarzmondlicht«. Im Selbstverlag, da der ursprüngliche Verlag sich in die Unanständigkeit katapultierte. Also bestellte ich bei ihr direkt und bekam mitten im Corona-März ein veritables Buchpaket:

Prall gefüllt

In der Widmung steht ein historisches »Bleib gesund.« – der März 2020 hat schon jetzt seine eigenen Legenden.

Ebenso wie »Schwarzmondlicht«, denn neben dem Verlagsdesaster kann die Autorin auch eine Menge zur Editionsgeschichte erzählen, immerhin ist das Werk eine stark überarbeitete Neufassung ihres Debüt-Romanes »Luna Atra« – im Vorwort klärt sie uns darüber auf.

Nach dem SF-Kracher nun düstere Fantasy? Eigentlich nicht ganz. In der SF gibt es für eine Handlung in nächster Zukunft den Begriff Near-Future, in der Fantasy ist Urban-Fantasy üblich. Aber so ganz mag ich »Schwarzmondlicht« dort nicht hineinpacken, denn die Handlung und ihre Bearbeitung kratzt fast alle Bereiche der Phantastik, also auch den Horror und das Märchen, im weitesten Sinne sogar die SF.

Nennen wir also dieses kleine literarische Schätzchen einfach: phantastische Phantastik!

Alles was man für die anspruchsvolle Lektüre benötigt.

In meiner Nachrichtenblase hatte ich das Gefühl, Roman und Figuren seien seit Jahrtausenden überall bekannt, nur ich hinke wieder hinterher. Es gibt Jugendliche mit besonderen magischen Fähigkeiten, die es ihnen nicht gerade leicht machen, ihren Weg zu finden und ihn dann auch zu gehen. Klingt erst einmal nicht ganz so überraschend neu, spannend wird’s dadurch, dass Melanie Vogltanz ihren Figuren scharf in die Psyche blickt und dabei kein Auge zudrückt. Es werden folgenschwere Fehler begangen, Verrat geübt, Gutes rächt sich, Böses steckt in harmlosen Absichten und es gibt eine ganze Menge Leid und Schmerz.

Was mir besonders gefiel, wie auch schon in »Shape Me« erspart uns Melanie Vogltanz billige oder einfache Lösungen. Es werden auch keine LeserInnenwünsche erfüllt, a la: »Die sollen sich kriegen!« oder »Das muss geheilt werden!« – dadurch fühlen sich Figuren und Handlungen sehr, sehr lebendig an.

»Schwarzmondlicht« beweist mir erneut, dass Melanie Vogltanz eine exzellente Erzählerin ist, die Komposition des lebens beherrscht und mehr als einen Blick in die Finsternis warf. dort wo die Phantastik ihre schwarzen Perlen aufbewahrt.

Mehr zur Handlung und den Figuren gibt es in meiner Rezi: Schwarzmondlicht von Melanie Vogltanz

Die Entmännlichung der Mythologie

Immer wieder gern verfolge ich das phantastische Programm der Edition Drachenfliege aus dem Hause Periplaneta. Um auch nix zu verpassen, lümmele ich immer mal wieder auf deren Homepage herum und so konnte ich deren neuesten Streich nicht verpassen. Zwar schon zur Wintersonnenwende erschienen, präsentierte Barbara Fischer am ersten Februar die überarbeitete Neuausgabe ihres Fantasy-Romans »Lilith«.

Das Periplaneta Literaturcafé im Februar

Im Vorfeld hatte ich mich jeglichen Spoilers verwehrt und so war ich dann doch überrascht, dass Lilith offenbar eine bekannte Figur der menschlichen Mythologie ist. Ich kannte bisher nur den Namen. Auch hatte ich noch etwas von einer ersten Frau des christlichen Adams gehört oder dass man ihr nachsagt, ihre Kinder zu essen. Insofern wurde der Abend für mich sehr lehrreich, denn Barbara Fischer las nicht nur aus ihrem Buch vor, sie gab nach der Pause auch einen aufschlussreichen Vortrag zur Veränderung der Lilith-Gestalt über die Jahrtausende, denn schon die Sumerer kannten sie.

Barbara Fischer während der Lesung

Dass dabei aus einer Schöpfungsgöttin eine Dämonin wurde, stellte Barbara Fischer als Produkt männlicher Deutungshoheit dar. Die Vorstellung, dass die Schöpfung weiblich ist, hat ja schon immer an der Rolle des Mannes genagt.

Odin hat es faustdick hinter den Ohren und das hörte man.

Um die Welt wieder gerade zu rücken, schuf Barbara Fischer nun eine Fantasy-Saga, die sich mythologischen Frauenfiguren widmet und ihre Geschichten neu erzählt. Neben Lilith wird das mit Frigg und Freya fortgesetzt. Wie Verleger Tom Manegold nach der Pause stolz verkündete, ist Band zwei bereits fertig und dürfte im März erscheinen, während Band 3 schon einen Titelbildentwurf von Holger Much besitzt (dessen Bilder ich großartig finde!) und nach Aussage der Autorin zu einem Drittel geschrieben ist.

Tom stammt aus einem Bild von Holger Much

Da bereits die sumerische Lilith auf einem Weltenbaum lebte, machte Barbara Fischer sie zur Mutter Odins und lässt die Handlung auf der Weltesche Yggdrasil spielen. Liliths Zwillingsbruder Ariman ist aus der Verbannung zurückgekehrt und will sich rächen. Das führt zu Auswirkungen auf allen Welten der Weltesche und etliche kuriose Gestalten tauchten in den kurzen Textschnipseln auf, die uns ausdrucksstark präsentiert wurden. Allerdings hatte ich beim Zuhören den Eindruck, eher ein Kinderbuch vor mir zu haben. Mal sehen, ob die eigene Lektüre das bestätigt.

Die Autorin hatte einen Bild von Yggdrasil zur Illustration der Handlungsschauplätze dabei

Das Buch ist furchtbar dick, eine Waffe, wie Tom bildhaft beschrieb und verwies gleich darauf, dass sie nicht nur so verrückt seien, zur Wintersonnenwende Bücher herauszubringen, sondern auch sofort die neue Rechtslage des verminderten Steuersatzes für eBooks nutzten und einen entsprechenden QR-Code im Klappumschlag unterbrachten. Allerdings lässt sich das Passwort nur nach Lektüre des ersten Kapitels ermitteln. Ein spannendes Konzept. Wie überhaupt das ganze Programm der Edition Drachenfliege nur so von herausgeberischem Mute strotzt. Ich finde das immer wieder überraschend und inspirierend.

Natürlich bat ich um eine Signatur

Mal sehen, wann es die »Weltenbaumsaga« in meine Lektüreliste verschlägt.

Ein geistvoller Abend neigte sich mit Applaus zu Ende …

Jahresrückblick 2019

Das Jahr begann mit einer arbeitsbedingten Erkrankung und steigerte sich im Herbst mit einer Bauch-OP. Da fehlten mir etliche S-Bahnfahrten zum Lesen, zudem gab es einige Brocken, deren Lektüre sich hinzog und sogar noch hinzieht. Nur 37 Bücher konnte ich daher auslesen, seit langer Zeit befand sich kein Sachbuch darunter.

Mit 26 Werken führte die Science-Fiction mein Interesse an, dem folgten sechs Fantasy-Werke, zwei allgemein phantastische und drei nicht phantastische Bücher.

Darunter befanden sich acht Anthologien bzw. Sammlungen mit Kurzgeschichten oder Gedichten.

23 Bücher wurden mir geschenkt oder habe ich mir selbst gekauft, 14 kamen als Rezensionsexemplare.

Die Verteilung der Geschlechter ist fast paritätisch, 14 Autorinnen zu 17 Autoren, wobei die Anthologien hierbei unberücksichtigt bleiben.

Speziell in der SF gab es eine 11 zu 11 Verteilung, quasi Doppelelfenwerk, wobei ich dieses Jahr großen Wert darauf legte, mir speziell Bücher von SF-Autorinnen zu holen. Hierzu plane ich noch einen gesonderten Artikel.

Was waren nun meine Highlights?

Zunächst zwei SF-Klassiker Ursula K. Le Guins »The Word for World is Forest«, das ich im Original las und Margaret Atwoods »Der Report der Magd«. Beides sehr politische und hochaktuelle Werke, die völlig zu Recht als Meisterwerke gelten.

Zwei andere Klassiker kannte ich vorher nicht: Guy Endores »Der Werwolf von Paris« ist in den USA der Werwolf-Klassiker schlechthin und überraschte mich durch seine Verzahnung mit der französischen Geschichte. Hermann Melvilles »Mardi und eine Reise dorthin« kostete mich etliche Wochen, bleibt aber durch seine Struktur und Fülle an bizarren Gesellschaftsformen bisher noch sehr präsent.

Bei den aktuellen SF-Romanen konnten mich vor allem Autorinnen überzeugen: Emma Braslavskys »Die Nach war bleich, die Lichter blinkten« konnte ich via Lesung und Rezension im Feuilleton kennenlernen und obwohl der Roman mit bekannten Themen jongliert, gefielen mir Schreibstil und Erzählperspektive sehr.

Der für mich beste neue SF-Roman 2019 kommt von Melanie Vogltanz. »Shape Me« ist so ziemlich alles, was ich mir von deutschsprachiger SF wünsche. Knackig, gut geschrieben, hart aber nicht Gewalt zelebrierend, politisch und utopisch.

Das gelang Sibylle Berg mit »GRM« leider nicht. So sehr ich die Autorin als bohrende Fingerspitze mag, ihr Roman suhlte sich zu sehr in den Anprangerungen und Bloßlegungen. Wie auch bei Dietmar Dath habe ich die Befürchtungen, dass hier das Lektorat zu zahm wurde.

Zwei Werke am Rande der SF und beides quasi Debüts, faszinierten mich: Karl Nagels »Schlund« über Punk in der BRD machte mich schlau, rau und grau. Eine kunterbunte Erfahrung.

Von René Frauchinger erwarte ich Zukunft noch mehr tolle Texte. »Riesen sind nur große Menschen« ist für mich neben »Shape me« die Entdeckung des Jahres jenseits der Massenverlage.

Ältere phantastische Geschichten von Menschen zu lesen, die man irgendwie ein bisschen zu kennen meint, sind auch eine intime Leseerfahrung und daher gehörten Michael Marraks »Quo vadis, Armageddon?« und Frank Duwalds »Die grünen Frauen« zu den schönsten Lesereisen des Jahres.

Jo Baker – »Ein Ire in Paris« über Samuel Becketts Erlebnisse im zweiten Weltkrieg bewegte mich sehr. Vom SUB gegriffen und schnell verschlungen, ein Literatur-Roman, wie ich gern öfter welche lesen möchte.

Das wohl skurrilste Buch des Jahres stammt von Jasper Nicolaisen. »Erwachsen« ist lustig, traurig, queer, wild und vor allem ein echter Nicolaisen. Von seinem ersten Lesebühnentext an, mochte ich diese Art des Erzählens, der Warmherzigkeit für die Figuren, denen er trotzdem ohne mit der Wimper zu zucken, schlümme Dinge in das Leben wirft – ich bin ein Fanboy. Der Mann schreibt zu wenig.

Das neue Jahr sieht mich bereits im Rückstand mit etlichen Rezensionsprojekten und ich habe auch noch diverse Bücher auf den SUBs, die ich letztes Jahr mit der festen Absicht erwarb, sie sofort zu lesen. Ich sollte einfach keine Rezi-Exemplare mehr annehmen.

Aber eher schaffe ich es wohl, an Gewicht, als an Lektüre abzunehmen.

Hier die Liste der Bücher aus 2019 in der Reihenfolge meiner Lektüre:

Ursula K. Le Guin – The Word for World is Forest

Karl Nagel – Schlund

Nova 25

Philip Reeve – Krieg der Städte

Margaret Atwood – Der Report der Magd

Guy Endore – Der Werwolf von Paris

Frank Hebben – Vampirnovelle

Judith Vogt – Roma Nova

Hans-Arthur Marsiske – Die letzte Crew des Wandersterns

Michael Marrak – Quo vadis, Armageddon?

Michael Marrak – Im Garten des Uroboros

Sibylle Berg – GRM

Angela und Karlheinz Steinmüller – Sphärenklänge

Elvis hat das Gebäude verlassen

Schatten über Camotea

Frank Duwald – Die grünen Frauen

C. C. Holister – Inferno für Anfänger

T. S. Orgel – Terra

Hermann Melville – Mardi und eine Reise dorthin

Swantje Nieman – Masken und Spiegel

Stefan Goebels – Käsablanca

René Frauchinger – Riesen sind nur große Menschen

Aleš Pickar – Die zwölf Kronen

Jo Baker – Ein Ire in Paris

Emma Braslavsky – Die Nach war bleich, die Lichter blinkten

Philipp Multhaupt – Herrn Murmelsams Trinklieder

Guido Krain – Ingenium

Jasper Nicolaisen – Erwachsen

Nova 26

Xeno-Punk

Theresa Hannig – Die Unvollkommenen

James Tiptree Jr. – Helligkeit fällt vom Himmel

Caroline Hofstätter – Das Ewigkeitsprojekt

Sabrina Železný – Feuerschwingen

Dietmar Dath – Neptunation

Philip K. Dick – Der galaktische Topfheiler

Melanie Vogltanz – Shape Me

Vor dem Ende kommen noch mehr Bände

Wenn man einmal mit einem Mehrteiler angefangen hat, ist es nicht leicht, mittendrin aufzuhören. Außer man ist Autorin oder Autor von Fantasy-Romanen. Dann sprudeln die Wörter nur so aus einem heraus und was ist schon eine Trilogie, wenn man drei schreiben kann?

Aleš Pickar gibt selbst gar nicht an, auf wie viele Bände er sein Fantasy-Epos »Kalion« angelegt hat. Ich dachte, es wäre eine Trilogie und war dann beim Lesen von Band »Die zwölf Kronen« zunehmend gespannt, wie er die vielen Handlungsfäden auflösen will. Tja, halt gar nicht. Zumindest nicht in diesem Band. Gleichzeitig führt er in zwei neuen Handlungsebenen komplett neue Kulturen ein, die den epischen Story-Arc in Richtung Renaissance bzw. in eine spoilerfrei nicht zu benennende komplett andere Ecke lenken.

Die zwölf Kronen von Aleš Pickar; Cover: Aleš Pickar

Der Band erschien bereits Ende letzten Jahres und ich hatte sein Erscheinen zunächst verpasst, dann vergessen, dann keine Zeit gehabt und mit einem gewissen schlechten Gewissen kaufte ich mir den Band dann endlich letzten Monat auf der Nacht der Drachenfliege. Auch wenn ich ja eigentlich grad gar keine Fantasy lesen mag, kann ich angefangene Reihen einfach nicht leiden, zumal mir die beiden ersten Bände recht gut gefielen.

»Die zwölf Kronen« beginnen recht brutal, aber Aleš Pickar nutzt diesen Einstieg, um verschiedene Figuren auf den Weg zu bringen. Davon gibt es inzwischen jede Menge. Ich kam auf dreizehn Handlungsstränge. Einige treffen aufeinander, einige trennen sich dann auch wieder. Und keine Handlungsebene stellte sich als langweilig heraus. Zwar wäre ich gern viel länger mit Nelei unterwegs gewesen, aber bei dem riesigen Ensemble will wohl jede Figur mal ins Rampenlicht. Im Zentrum des Romans steht die Invasion durch die Peleori und Argan-Khôr. Die bestehende Welt wird durcheinandergerüttelt und Aleš Pickar gelingt es, das entstehende Chaos dadurch auszudrücken, dass er eine Zeitlang immer wieder zwischen den Schauplätzen wechselt. In der finalen Schlacht treffen dann einige seiner Figuren wieder aufeinander. Doch man spürt, es ist nur ein kurzer Moment bevor es im nächsten Band mit Wucht weiter geht. Zumindest vermute ich das.

Angekündigt ist der nächste Roman noch nicht, mal sehen, ob ich den vierten Band zeitnaher in die Mangel nehme.

Etwas mehr zur Handlung schrieb ich in meiner Rezi: Die zwölf Kronen von Aleš Pickar

Revolution in Scherben

In Vorbereitung auf die Nacht der Drachenfliege griff ich mir endlich den zweiten »Drúdir«-Band »Masken und Spiegel« vom SUB. Wobei, er lag gar nicht auf DEM SUB, sondern auf dem Stapel der ungelesenen Bucheinkäufe von der Leipziger Buchmesse. Da wartet jetzt noch ganz vorwurfsvoll der dritte Band von Kai Meyers Space-Opera »Die Krone der Sterne«. Aber es sind auch alles dicke Klopper geworden!

Jedenfalls wollte ich der wunderbaren Swantje Niemann nicht unter die Augen treten ohne zumindest angefangen zu haben und schwupps hab ich das Buch auch schon absorbiert.

Swantje auf der LBM 2019

Es ist sogar noch besser als »Drúdir« gelungen, da Swantje fast allen Figuren eine tiefe Charakterisierung verleiht und ihre Motive darlegt. So werden selbst Morde und Verrat durch die Ereignisse und das Beziehungsgeflecht der Figuren begründet und die jeweiligen Entscheidungen nachvollziehbar. Dadurch fühlt man als Leser an bestimmten Stellen keine Befriedigung: »Endlich issa tot!« Sondern teilt das Bedauern und Mitgefühl der beiden Hauptfiguren. Das war zwar auch schon im ersten Band so, hier aber legt Swantje noch eine Schippe drauf was die emotionale Breite der Charakterisierung anbelangt.

Drúdir – Masken und Spiegel von Swantje Niemann; Cover: Jörg Schlonies

Mit »Masken und Spiegel« wechselt Swantje den Schauplatz. Drúdir reist ins Menschenreich um zum einem mit sich ins Reine zu kommen, zudem begegnen ihn die Zwerge in der Union mit Angst und Abscheu – er will in Ch’Ashvaenta auch beim Maskenmacher Jathrades Einsicht in Bücher bekommen, die sich mit Magie befassen, um darin mehr über seine nekromantischen Fähigkeiten zu erfahren.

Doch Jathrades ist tot. Seine Tochter Nodia erlaubt Drúdir zwar, in den Büchern zu lesen, doch alsbald geraten die beiden in die offenen Rechnungen der »Revolution der Masken«, durch die vor fünfzehn Jahren der alte König gestürzt und eine parlamentarische Monarchie installiert wurde.

Politik, Magie und Emotionen – in der deutschsprachigen Fantasy ist mir derzeit nichts bekannt, dass auf dem Niveau von Swantje stattfindet. Meine ausführliche Rezension gibt’s hier: Drúdir – Masken und Spiegel von Swantje Niemann

Einmal Hölle mit Schnuckel und Energydrink

Wenn der Stapel ungelesener Bücher überhüfthoch angewachsen ist, vergisst man schnell einmal, sich regelmäßig um all jene Bücherquellen zu kümmern, die da jenseits der Bücherwände munter sprudeln. Etwa die Edition Drachenfliege aus dem Hause Periplaneta. Von dort schwammen in der Vergangenheit regelmäßig schräge Fantasywerke in meinen Lesehafen und so war ich hoch erfreut, als sich die Verlegerin mit einer virtuellen Flaschenpost in Erinnerung brachte. Drei Bücher landeten alsbald bei mir und ich erwählte »Inferno für Anfänger« von C. C. Holister für den ersten Stapellauf.

»Inferno für Anfänger« von C. C. Holister; Cover NOH Hamburg

Das Buch um zwei frischgebackene Dämoninnen klang spannend und versprach mittels Augment Reality ein ganz neues Lesevergnügen.

Nun ist das Buch durchaus spannend, lustig und vor allem frech, aber eben auch recht anstrengend, wenn man nicht direkt zur Zielgruppe gehört. Ja, ich gebe es zu, schnuckelige Dämonmänner interessieren mich nicht die Bohne und auch Gespräche unter Frauen über sie reißen mich nicht instant vom Hocker. Aber ich bin mir sicher, dass sich C. C. Holister durch ihre Geschichten-Reihe »Demon’s Diaries« eine treue Fangemeinde erschrieben hat, die das Prequel um Cay und Mia weitaus mehr zu schätzen wissen.

Das mit den Augment Reality erwies sich im Übrigen als schwer zu handhaben.

Der Schnuckel wird mit AR schnell unschnuckelig

Da ich meist in der S-Bahn lese, wollte ich nicht ständig mit dem Handy über dem Buch hantieren, um mir den zusätzlichen virtuellen Inhalt anzeigen zu lassen. Ich hab es mir dann hinterher zu Hause angeschaut und ja, es macht Spaß, aber mit nur zwei Händen ist es zu unhandlich, um mich wirklich zu überzeugen.

Wer schnell liest, nicht zittert und kräftige Unterarme hat, ist hier im Vorteil

Also insgesamt war das Buch nicht so meins. In meiner Rezi für den Fantasyguide gehe ich mehr auf den Inhalt ein: »Inferno für Anfänger« von C. C. Holister

Wandeln im Schatten alter Welten

Im Urlaub kam ich tatsächlich zum Lesen, allerdings hatte ich nicht jeden Tag auf dasselbe Buch Lust. Darum kann ich auch nur eine einzige abgeschlossene Lektüre vermelden. Dabei handelt es sich um eine Fantasy-Anthologie, die ich mir wieder einmal in völliger Überschätzung meiner Lesezeiten anforderte, weil der Herausgeber Henning Mützlitz so nett darüber twitterte. Und dann kam ein 550 Seiten starker Ziegelstein!

Schatten über Camotea herausgegeben von Henning Mützlitz und Christian Kopp, Cover: Mia Steingräber

Das Buch erschien im Selbstverlag, weil das Projekt beim ursprünglichen Verlag platzte – auch eine Info, die ich erst nachträglich einholte. Aber manchmal muss man sich eben auf Unerwartetes einlassen.

»Schatten über Camotea« beruht auf den Roman »Wächter der letzten Pforte« der beiden Herausgeber Henning Mützlitz und Christian Kopp und enthält neben vier Novellen auch acht Kurzgeschichten, sowie eine Einführung in die zugrundeliegende Fantasy-Welt. Es ist quasi eine Shared World Anthologie geworden und die Autorinnen und Autoren, darunter auch die Herausgeber, wandelten dort auf eingetreten Pfaden aber auch auf ein paar versteckten Schleichwegen. Fantasy mit Mittelaltersetting scheint mir von Natur aus thematisch recht unergiebig zu sein, wenn man etwas Neues lesen möchte. Ich sehe da kaum Potential und umso erfreuter bin ich dann, wenn eine Story aus den eher generischen Texten heraussticht.

Hier war das vor allem stilistisch bei Tobias Rafael Junge und seiner Geschichte »Der gläserne Himmel« der Fall, während mich Judith und Christian Vogt in »Das Blut meiner Brüder« mit einer cleveren Idee überraschten, durch die sie ihren Anspruch an gender-moderne Phantastik erfüllten.

Natürlich lese ich Fantasy vor allem wegen des Unterhaltungswertes und hier enttäuschte die Sammlung nie. Alle Geschichten sind mindestens gut geschrieben, sparen nicht mit Action und Abenteuern und nur eine ließ mich nach dem Lesen unzufrieden zurück.

In Summe also eine lohnende Lektüre. Auf der Seite zur Anthologie kann man sich einen Überblick zu Weltenbau und Storys verschaffen, ansonsten sei meine ausführliche Rezi anempfohlen, in der ich zu jeder Geschichte etwas zu sabbeln habe: Schatten über Camotea herausgegeben von Henning Mützlitz und Christian Kopp

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