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Die Summe aller Trainingsdaten ist der Mensch
Auch das Otherland startet wieder so richtig durch, das Programm der nächsten Monate ist angefüllt mit Lesungen und Events.
Zum Start des Nach-Corona-Lebens hatte sich Otherlander Wolfgang Tress eine bunte Truppe an SF-Schaffenden in seinem Laden gewünscht, die ihn im letzten Jahr mit ihren Werken begeisterten.
Wolf ist nicht nur ein engagierter Buchhändler, sondern auch ein inspirierender Leser, der mit seiner Lektüre immer wieder phantastische Werke findet, die er dann mit Verve empfehlen kann und so artete seine Vorstellungsrunde zu einer ganz besonderen Lobrede auf die Anwesenden aus, was man ihm natürlich gern verzeiht.
Aber letztlich war das bei dem Programm auch kein Wunder: Nils Westerboer schuf mit Athos 2643 mein SF-Highlight des Jahres 2022. Aiki Mira schreibt begnadete Kurzgeschichten und erregte mit den beiden in 2022 erschienen Romanen großes Aufsehen in der Szene. Jens Lubbadeh präsentierte nun schon den vierten SF-Roman im Otherland und Theresa Hannig entwarf mit Pantopia zur Abwechslung mal eine funktionierende Utopie.
Also ein erstklassiges Grüppchen ganz unterschiedlicher Spielarten der SF und weil auch im Publikum jede Menge Verleger·innen, Autor·innen und Künstler·innen vertreten waren, entwickelte sich über zwei Stunden hinweg eine angeregte Diskussion zu den Themen der Bücher. Natürlich spielten KIs eine große Rolle, aber auch der Stellenwert der SF innerhalb der Branche.
Es herrschte eine tolle Atmosphäre und ich spürte wieder, wie schön es ist, bei so einem intensiven Gedankenaustausch dabei sein zu können. Nach Corona- und Winterblues belebt das ungemein.
Jens Lubbadeh kannte ich noch gar nicht, irgendwie hatte ich ihn mit einem anderen Autoren verwechselt, der eher blutrünstige Fantasy schreibt und darum hatte ich seine Otherland-Termine bisher gemieden. Aber der Wissenschaftsjournalist imponierte mir und so ließ ich mir von ihm hinterher eines seiner Bücher empfehlen, da mich thematisch sein jüngster Roman Der Klon nicht so interessierte. Nun hab ich den Vorgänger Transfusion auf dem SUB, den der Autor lustigerweise als sein blutigstes Werk bezeichnete.
Amüsant fand ich auch Theresas Kommentar zu ihrer schöpferischen Zukunft, die dystopischer wird, denn sie hab ja nun ihre Utopie bereits geschrieben. Und im übrigens gab es selbst beim Schreiben von Pantopia den Moment, da sie auch alles gegen eine dystopische Wand hätte fahren lassen können.
Solche wunderbaren Abende braucht es eigentlich viel öfter und nicht nur das Otherland plant da groß, nur noch zwei Monate und dann findet der Metropol Con in Berlin statt – Claudia Rapp konnte gestern auch wieder dafür werben und so langsam steigt die Spannung, wie dieses Mega-Event werden wird.
Wer in die Zukunft fliegt, landet in der Vergangenheit
Ich bin seit meiner Jugend Fan des Autorenpaares Angela und Karlheinz Steinmüller. Mit »Andymon« verfassten sie eines meiner ewigen Lieblingsbücher und ich verfolge das Wirken der beiden seither fleißig. Was auch gar nicht schwer ist, immerhin wohnen sie auch in Köpenick und zum anderen besuchen sie regelmäßig Cons und andere Events.
Im April stellten sie im Otherland ihr jüngstes Werk vor: »Sphärenklänge. Geschichten von der Relativistischen Flotte«. Es erschien als Band 9 der Gesamtausgabe bei Memoranda, dem Golkonda-Imprint von Hardy Kettlitz, der die Reihe nach dem Untergang von Shayol fortführt.

Normalerweise fasst so eine Werkausgabe ja das vor Urzeiten erschiene Zeugs der Delinquenten zusammen, aber bei den Steinmüller ist nix normal. Sie waren selber überrascht, als zu Beginn der Werkausgabe gleich dazugesagt wurde »… in zehn Bänden« – soviel hatten sie bis dato geschrieben. Deshalb gibt es in Band Neun nun auch nur vier alte Texte, die restlichen Acht sind knackig-frisch. Alle eint aber das Thema: Relativistisches Reisen durch den Kosmos. Was bedeutet es für die Menschen zu wissen, das in nur wenigen Jahren die Zurückgelassenen vielleicht sogar schon deren Enkel nicht mehr leben? Wie organisiert man eine Flotte sich relativistisch fortbewegender Schiffe? Wie kommt man bei einer Rückkehr zurecht oder mit Kolonien, von denen man am Beginn der Reise noch gar nichts wusste? Und vor allem: Was macht das aus uns?

Ganz besonders berührte mich die Geschichte um eine ausgemusterte Wissenschaftlerin, die man für verrückt hält und der man einen Androiden zur Seite stellt, um sie im Blick zu behalten. »URM 6754 und die Sphärenklänge« handelt vom Altern und vom Wunsch, respektiert zu werden. In Anbetracht der Geburtsjahrgänge von Angela und Karlheinz streift mich da mehr als nur ein sanfter Hauch der Wehmut.
Aber hey, noch sind die beiden putzmunter und fabrizieren beständig neue tolle Science-Fiction. Und es ist toll mit ihren Geschichten, mit ihnen selbst alt zu werden und jung zu bleiben. Das All ist nicht die Grenze, es ist der Anfang!
In meiner Rezi gehe ich ausführlich auf jede Story ein: Sphärenklänge von Angela Steinmüller und Karlheinz Steinmüller
Mit dem Kanu durch Verlagsstromschnellen
Das Buchpremierenjahr im Otherland ging letzte Woche in eine neue Runde. Selbst die Otherlander konnten auf Anhieb nicht benennen, die wievielte es nun ganz genau ist, als Michael Marrak die Doppelpremiere seines neuen Romans »Der Garten des Uroboros« und des Erzählungsbandes »Quo vadis, Armageddon?« feierte.

Die Otherlander Wolfgang Tress und Simon Weinert grübeln
Der erste Band der »Besten Erzählungen von Michael Marrak in zwei Bänden« war zwar schon zur Leipziger Buchmesse erhältlich, aber wie Simon Weinert es formulierte: Buchmesse zählt ja nicht.
Michael Marrak erschien mit Amandara, die schon im Januar ein Märchen aus dem »Uroboros« in der Kulturbremse präsentierte.

Amandara und Michael
Natürlich fand sich auch MEMORANDA-Verleger Hardy Kettlitz ein, sodass Michael sich ganz beruhigt im Kreise von Freunden und Fans platzieren konnte.

Zwei Bände hat die von Hardy herausgegebene Reihe mit besten Erzählungen
Nach der Installation der passenden Lesebeleuchtung präsentierte der stolze Autor seine dicke Lesemappe mit den sorgfältig eingeklebten Seiten des »Uroboros«.

Eine Lesung mit Michael Marrak hat immer Stil
Der »Uroboros« ist für Micha wie »Quo vadis, Armageddon?« auch, so ein »endlich-geschafft-Teil«, weil das Buch früher schon (unter einem anderen Titel) nach »Lord Gamma« bei Bastei Lübbe im Gespräch war. Eigentlich unfreiwillig, weil er seinem Agenten gegenüber die Romanidee erwähnte, der prompt den Cheflektor des Verlages anrief und so kam es dann sogar zu einem Vertrag, den Micha dann aber wieder kündigen musste, weil er sich einfach nicht reif für den Roman fühlte und er damals sein Konzept nicht umsetzen konnte.

Micha und sein Buch
So hing der Roman lange in der Luft, war dann aber sogar schon drei Jahre vor dem »Kanon« fertig. Er zog den »Kanon« dann vor, weil er ihn geeigneter fand, um nach der langen Veröffentlichungspause wieder anzufangen. So repräsentiert der »Kanon« seine neue und der »Uroboros« seine alte Schreibe. Da der Verleger Jürgen Egelseer von den diesjährigen Schneebergen betroffen war, schrieb Micha den Roman nicht nur, zeichnete das Titelbild und die Innenillustrationen, er setzte das Buch auch noch!
»Uroboros« ist ein Synonym für die Erde. Es geht um eine Prophezeiung, bzw. um eine Apokatastasis (der Zungenbrecher bedeutet laut Wikipedia Wiederherstellung aller Dinge am Ende der Zeiten).
»Eine Idee, in der alles sich, als ein riesiggroßes, sinnloses Nichts entpuppt. Es ist ein Kreislauf, für den es unterschiedliche Längen gibt, zwischen zwölftausend und sogar zwei Millionen Jahren, und am Ende dieses Kreislaufes beginnt alles neu. […] Es ist eine Theorie nach der ab einem bestimmten Zeitpunkt alles endet und von vorne beginnt. Aber jetzt nicht von vorne beginnt und man bekommt eine neue Chance und man macht alles anders. […]
Man führt exakt das gleiche Leben sobald dieses Leben beginnt mit den exakt den gleichen Gedanken, den gleichen Gesprächen, den gleichen Worten, den gleichen Überlegungen. Es ist immer der gleiche Kreislauf. So eine Art völlig sinnloses, göttliches Hamsterrad. […]
Das Buch beschäftigt sich praktisch mit der Idee, was passiert wenn sich doch etwas ändert, was passiert, wenn es drei oder vier Anomalien gibt, die es Menschen ermöglichen, durch dieses göttliche Tabula rasa durchzuschlüpfen.«
So gibt es im »Uroboros« vier Handlungsstränge, die auf drei Erdteilen spielen und keinen wirklichen Haupthandlungsstrang. Zwar spielt der Archäologe Hippolyt Krispin aus »Morphogenesis« wieder mit, aber nur, weil sich Micha keinen neuen Archäologen ausdenken wollte. Eigentlich hatte er etwas vor wie in den Filmen »Rapa Nui« oder »Apocalyptica«, also komplett ohne Gegenwartshandlung. Das gefiel dem damaligen Verlag aber nicht. So ist dann ein Gegenwartsstrang doch noch eingeflossen und gibt dem ganzen eine Indiana-Jones-Atmosphäre, erklärte Micha.
Er las allerdings zwei Kapitel aus einem Strang in der Vergangenheit vor.
Im Jahre 1455 muss der Chachapoya-Junge Chebál einen ziemlich anstrengenden Initiierungsritus durchstehen. Dabei geht es um die Jagd auf einen riesigen Raubfisch und die Fahrt mit einem Kanu einen wilden Strom hinab durch Engpässe und Wasserfälle. Micha las das gewohnt spannend und fesselnd.
Im zweiten Teil deas Abends ging es zum Sammelband »Quo vadis, Armageddon?«, der eine lange Geschichte hinter sich hat.
»Was hier liegt, das Ding hier, in seiner jetzigen Inkarnation, ist eigentlich die Anthologie, für die damals »Lord Gamma« eine Kurzgeschichte hätte werden sollen.«
»Und das war 1999«, warf Hardy von der Seite ein.
Eine zwischenzeitliche Veröffentlichung bei Festa zerschlug sich auch und da einige der alten Erzählungen in irgendeiner Form in seine Romane eingeflossen sind, spürte er in sich auch nicht die Begeisterung, das Projekt voranzutreiben.
Die Stories sind weit verstreut erschienen. Viele der Anthologien sind vergriffen, teilweise sogar schon die Herausgeber verstorben, sodass es jetzt doch toll ist, die Geschichten zwischen zwei Deckeln zu haben.

Lose Blätter und ein Bier – quo vadis?
Er las dann die allererste Geschichte, von der er selber denkt, hier begann es für ihn ernst zu werden mit der Schreiberei: »Dominion«. Sie erschien in der Alien Contact-Anthologie »Das Herz des Sonnenaufgangs« 1995 im Teil mit den neuen Geschichten. Es geht in der Story um einen Säbelzahntiger mit dem Namen Richard Madenbach, was Michael damals noch für einen coolen Namen hielt. Inzwischen liest es sich für ihn wie der »Kanon« in der Urzeit. Entsprechend amüsant wurde es dann auch.

Die Situation ist ernst …
Im Anschluss hatten wir noch Zeit, um Fragen zu stellen. Schnell drehte sich das Gespräch um die Probleme, die man als Autor hat, wenn man ein paar Jahre von der Bühne verschwunden war. Micha arbeitete ja fast etliche Jahre an einem Computerspiel mit, das dann doch nicht veröffentlicht wurde. So lehnten alle großen Phantastik-Verlage den »Kanon« ab, der aber inzwischen so erfolgreich ist, dass justamente eine Hörbuchfassung im Verlag Hörbuch Hamburg herauskam, gelesen von keinem geringeren als Stefan Kaminski.
Sichtlich stolz erzählte Michael von dieser Auszeichnung seines phantastischen Romans.
Das Verlagswesen ist im Umbruch. Man kann gespannt sein, wohin uns das alles führt. Hauptsache, wir lesen weiter etwas von Michael Marrak und sehen uns im Otherland!

Kein Buch ohne Signatur!
Mit ein bisschen Hilfe aus dem Kleiderschrank
Das Lesungsjahr im Otherland ist bereits so proppevoll, dass ich es nicht schaffe, zu allen Veranstaltungen zu gehen. Wenn das kein Luxusproblem ist!
Aber ich schaffte es zu Sebastian Pirling! Er ist Phantastik-Lektor bei Heyne und hat mit »Der Planet der verbotenen Erinnerungen« nun selbst einen SF-Roman herausgebracht.

Sebastian Pirling und sein Buch »Der Planet der verbotenen Erinnerungen«
Nicht bei Heyne, sondern im mir bislang völlig unbekannten Brendow Verlag. Okay, der macht auch eher christliche Sachen. Hat aber eine coole Sache, um AutorInnen mit Projekten zu fördern, die in ihr Verlagskonzept passen: Den C.S. Lewis-Preis.
Sebastian bewarb sich dort mit seiner Roman-Idee und bekam ihn 2016. So konnte er also abseits der Wege, mit Hilfe aus dem Kleiderschrank, sein Romandebüt platzieren.
Wir saßen wieder einmal gemütlich im Kreis um den Getränketisch und Sebastian las in seiner allerersten Lesung als Autor zwei kurze Stellen aus dem Roman vor.
Zunächst Erinnerungen eines alten Professors der bei der Zerstörung seiner Heimat ein seltsames Erlebnis hat. Im zweiten Teil gab es eine Fabel, die der Hauptfigur des Romans bei seinem Besuch in einem versteckten Tal erzählt wird, wohin sich Menschen zurückgezogen haben, die sich gegen implantierte Erinnerungen wehren.
Die Auszeichnung mit dem C.S. Lewis Preis sind gewaltige Vorschusslorbeeren und Fluch und Segen zugleich.
»Natürlich freut man sich, wenn man einen Preist kriegt, dass ist natürlich ganz toll und für mich persönlich bedeutet der Name C.S. Lewis durchaus sehr, sehr viel und gleichzeitig ist es natürlich schwierig, wenn man bis dahin nur zwanzig Seiten hat und sagt, ach das wird ja sowieso nichts. Und dann die Frage vom Verlag kommt: Ja, wann können Sie denn fertig sein? – dann hängt mal halt drin.«
Die Geschichte des Buches hängt sich an einer Frage auf, die Sebastian schon drei/vier Jahre begleitet und ihm bei der Lektüre von Briefen kam, die Dietrich Bonhoeffer aus seiner Haft schrieb. Kann es sein, dass dieses Ganze, was wir hier jetzt so als Religion verstehen, nichts weiter ist als eine Art Gewand, ein Mantel den wir uns übergeworfen haben und dass es nicht auch ohne ihn ginge.

Sebastian stellte sich allen Fragen
Kann man Religion einfach so abtun? Für sein Romanprojekt kam Sebastian der Gedanke an eine Welt, in der Religion per se aufgehört hat zu existieren. In dieser Welt begibt sich ein junger Mann auf die Suche nach dem Vermächtnis seines Lehrers. Dieser Professor wurde ermordet und es heißt, es seien Erinnerungen, Aufzeichnungen von ihm vorhanden, die auf eine Gemeinschaft von Menschen hinweisen, die in dieser völlig religionsslosen Welt nach einer neuen Art von Miteinander suchen.

Selbstverständlich ließ ich mir mein Exemplar signieren
In den Fragerunden ging zwar in erster Linie um den Roman, aber Sebastian beantwortete auch welche zum Thema Lektorat und dem Heyne-SF-Programm. Als wichtigste Empfehlung daraus sei Ken Lius zweiter Band mit chinesischen SF-Storys »Zerbrochene Sterne« genannt, die wir in Übersetzungen aus dem Chinesischen erwarten dürfen.
Auch wenn mich diese Story-Idee von »Der Planet der verbotenen Erinnerungen« jetzt nicht wirklich vom Hocker gerissen hat, werde ich den Roman wohl lesen. Es ist auf jeden Fall mal etwas anderes.
Die Kosten der Träume
Gerade erst gab es große Aufregung um eine Liste von Science-Fiction-Autorinnen in der deutschsprachigen Wikipedia. Obwohl ich Bücher nicht nach dem Geschlecht aussuche, stelle ich regelmäßig in meinen Jahresauswertungen fest, dass meine Lektüre von Autoren geprägt ist. Seither bemühe ich mich darum, immer wieder auch ganz bewusst zu Werken von Frauen zu greifen. Daher war es beschlossene Sache, dass ich trotz fiesen Männerschnuppens zur Buchpremiere von Kathleen Weise ins Otherland gehen würde.

Das Otherland-Poster zur Buchpremiere
Allerdings war Kathleen selbst verseucht und hatte daher extra einen Babysitter organisiert, damit ihr Mann, Boris Koch, den Vorlesepart übernehmen konnte.

Boris Koch und Kathleen Weise
Die beiden gehören zum Freundeskreis der Buchhandlung. Boris arbeitete hier etliche Jahre und Kathleen lektorierte etwa Simon Weinerts »Tassilo«, der jüngst in einer schicken Neuausgabe bei MEMORANDA erschien und den er nächste Woche auf der Leipziger Buchmesse vorstellen wird.
Von daher schon war die Stimmung prächtig und in gewisser Weise familiär.

Zum Greifen nah: »Wenn wir nach den Sternen greifen«
Kathleens neuestes Buch »Wenn wir nach den Sternen greifen« behandelt ein recht schwieriges Thema. Welche Konsequenzen haben unsere Träume für das Leben anderer. Kathleen beschrieb das so:
»Du suchst dir deinen Partner aus. Das ist wie Partnern von Soldaten, Polizisten, Partnern von Feuerwehrleuten … Als Erwachsener kannst du dir sagen: Haste selbst ausgesucht, Pech gehabt! Aber als Kind? Was machst Du, wenn Du in die Familie reingeboren wirst und ein Elternteil einen Beruf, eine Berufung hat? Hast du dann das Recht zu sagen: Du lässt das aber! Kannst du jemanden, der solch eine Leidenschaft hat, das fragen, kannst du fordern: Du hast eine Familie, bitte such Dir einen anderen Job!
Und ich habe keine Antwort.«
Der Roman spielt in der nahen Zukunft, im Jahre 2039. Der Start einer bemannten Marsmission steht kurz bevor und die Weltraumbehörde organisiert einen letzten Urlaub für die Mitglieder mit ihren Familien. Auch der Vater der 17-jährigen Ianthe wird sich schon bald für lange Zeit von ihnen verabschieden. Während das für Ianthe in Ordnung geht, da sie im Verfolgen ihres Traumes einer Musik-Karriere Parallelen zum Traum ihres Vaters sieht, reißt ihre jüngere Schwester Sanja aus. Doch die Ferienwoche wird für alle die bevorstehende Trennung realer machen und in ein anderes Licht stellen.

Boris war ein Mädchen
Boris hatte sichtbar Vergnügen darin, die Innensicht eines Mädchens darzustellen. Obwohl er den Part der Sanja eher in das Zentrum des Buches gestellt hätte, weil es für der spannendere Handlungsstrang ist. Doch Kathleen bevorzugt den Optimismus Ianthes. Zudem konnte sie sich durch sie als Songschreiberin üben. Ianthe produziert nicht nur erfolgreiche Videos, sie macht auch ihre eigene Musik und will Sängerin werden. Kathleen hat sich hierfür extra mit befreundeten MusikerInnen zusammengesetzt um herauszufinden, in welche Richtung sich Musik in den nächsten zwei Jahrzehnten entwickeln könnte. Sie schufen dann zusammen auch gleich den Soundtrack zu Buch, aus dem man am Abend bereits einige Stücke von einer Deme-CD hören konnte. Die fertige Platte erscheint wohl im Sommer, die Liedtexte befinden sich im Anhang des Buches.

Kathleen lässt die Macht hinter sich
Boris gab noch ein zweites Kapitel zum besten, in dem wir die Freunde Ianthes und auch deren Stresslevel mit dem Leben und den Entscheidungen ihrer Eltern kennenlernen.
Die beiden Stellen versprachen eine vor allem auf den Menschen bezogene SF, die vielleicht gerade jene ansprechen wird, die nicht so auf Technik und Weltraumkämpfe stehen. Denn noch ein weiteres Problem spielt im Roman eine Rolle. Auf der Erde hat sich eine aggressive Bewegung namens »First Mother« gebildet, die gegen Ausgaben für Weltraumforschung sind und ganz explizit versuchen, den Flug zum Mars zu verhindern.

Die stolze Autorin
»Wenn wir nach den Sternen greifen« ist daher ziemlich erdgebundene Social-Fiction, die sich nicht nur auf Jugendliche konzentriert, die ähnliche Sorgen wie Sanja umtreibt, sondern auch auf genau jene Menschen, die ihren Träumen folgen und einen Preis dafür zu zahlen haben. Ein wichtiges Thema.
Dennoch fliegt Kathleen mit ihrem nächsten Buch, ebenfalls SF, ins All. Wir werden ihr wohl dahin folgen.

Kathleen und Christian Handel
Kurz bevor meine Nase mich verlassen konnte, nutzte ich das Ende der Veranstaltung, und eilte mit einem wunderbar signierten Buch und mächtig schniefend nach Hause.
Die Nacht der Kleinen Leute
Es war zu erwarten, dass zur Vorstellung einer Anthologie, deren Mitwirkende die phantastische Literatur hierzulande seit Jahren prägen, jede Menge Feenvolk und auch genügend Trolle und Zwerge in das Kreuzberger Otherland wandern würden.
So gut gefüllt sah man die buchgewaltigen Hallen selten. Das Ziel des phantastischen Volkes war die »Anderswelt«. Eine Anthologie, herausgegeben von benSwerk und Holger Much.
Ben dürfte als Coverkünstlerin vielen bekannt sein, schuf sie doch unzählige Designs für die Golkonda-Bücher und so wundert es nicht, dass auch neun Bildkünstlerinnen und Bildkünstler mit ihren Zeichnungen, Gemälden und Illustrationen in »Anderswelt« vertreten sind.
Das Otherland war also gerappelt voll, man sah die, die immer hier sind und auch die, die man stets hier und dort antrifft.

Die stolze Herausgeberin: Ben
Pünktlichst begann der Lesungsteil. Ben freute sich, die »Anderswelt« im Otherland zu präsentieren, dem Ort, an dem nach ihren eigenen Worten Realität magisch wird und Fantasie real. Oder wie die Otherlander es formulierten: Phantastik wahr wird und Realität magisch.
Nach Bens kleiner Projektvorstellung bestieg als Erster Zauberer Christian von Aster das gefährliche Podest der Poesie und eröffnete mit dieser sportlichen Höchstleistung den Reigen lustiger Podestpossierlichkeiten, denn das mühevolle Erklimmen der Lesebühne machte das Podium für Christian zum Symbol für den Balanceakt zwischen Realität und Phantastik.

Christian von Aster
In Anbetracht fehlender Zeit für eine Geschichte war er ganz froh, dass man ihm die Möglichkeit gab, mit einem Gedicht in der »Anderswelt« vertreten sein zu dürfen. Als Inspiration zu seinem Poem »Die wilde Jagd« diente ihm das Bild »Nachtvolk« von Holger Much, ebenfalls im Buch zu finden. Der Vortrag, mit dem sich die Pforte zur Anderswelt öffnete, erklang gewohnt stimmgewaltig und wohlbetont.
Ihm folgte der einzige und anbetungswürdige Jasper Nicolaisen und Jasper besitzt eine wunderbar prägnante Erzählstimme, der ich stundenlang lauschen könnte.

Jasper Nicolaisen
Er war froh, endlich wieder Phantastik bringen zu können, denn in letzter Zeit sei er gezwungen gewesen, ganze Bücher mit echten Menschen vollzuschreiben.
In »Schwarzbraun ist die Haselnuss« geht er darum auch ganz tief in die Schatten von Neukölln und erzählt von den Kleinen Leuten. Eine wunderbare Liebeserklärung an die Menschen, die jenseits normaler Lebensentwürfe in Berlin leben. Jasper kredenzte eine breite und bis in die tiefsten Poren liebenswerte urbane Märchenwelt. Wenn ihr einen einzigen Grund braucht, »Anderswelt« zu kaufen, dann solltet ihr in diese Geschichte hineinlesen. Berlin war schon lange nicht mehr so mythisch!
Sodann folgte Otherlander Simon Weinert, der in »Wo die Feen herkommen« eine Verbindung zwischen der Einsamkeit jugendlicher Dichter und der Geburt von mythischen Wesen herstellte.
Seine Beschreibungen über das Großwerden in einem Dörfchen der Schwäbischen Alp zeugten von tiefen Verständnis jener Zeit, da Bücherleser mit drängenden Körpersäften fernab Gleichgesinnter ihre eigenen magischen Orte erschufen.
Das klang autobiographisch und war auch deshalb sehr amüsant.
Und um das Trio der ehemaligen Lesebühne »Schlotzen & Kloben« voll zu machen, folgte Jakob Schmidt.

Jakob Schmidt
Vor der Pause teaserte er uns mit dem Beginn seiner Geschichte »Die Wechselbälger«, die auch die Anthologie eröffnet. Bei Jacob stehen ebenfalls seltsame kleine Leute im Mittelpunkt und zeigen durch ihre Andersartigkeit, wie komisch eigentlich das ist, was wir als normale Welt betrachten.
Dirk-Boris Rödel eröffnete nach der Meisterung des Podestbesteigens die zweite Lesungshälfte mit »Die Hexe«, einer Mischung aus Gedicht und alternativer Genesis.

Dirk-Boris Rödel
Er war auch der erste mir unbekannte Autor des Abends und sah auf jeden Fall wie ein sehr ambitionierter Phantastikautor aus.
Zurück in die nüchterne Welt holte uns sodann Jenny-Mai Nuyen mit dem autobiografischen Text »Pascal entscheidet«.

Jenny-Mai Nuyen
Sie las den Text wegen seiner Länge nur an, empfahl uns aber unbedingt die Lektüre der ganzen Geschichte, weil man hinterher entweder gläubig oder Atheist würde. Mir wäre es ja lieber, durch das Lesen phantastischer Geschichten gesund oder zumindest schlanker zu werden.
Isa Theobald entführte uns danach in die schottische Mythologie und in die Zeit kindlicher Offenheit und Freude an der magischen Natur der Welt.

Isa Theobald
Isa erfüllte sich mit der Lesung einen Lebenstraum, nach dem sie vor ein, zwei Jahren via Facebook diesen merkwürdigen Buchladen auf der anderen Seite der Republik entdeckte. Sie nahm nun extra 800 Kilometer Weg in Kauf, um endlich im Otherland zu lesen.
Mit einer ganz besonderen Geschichte beschloss Tobias O. Meißner den Abend. »Den Wald vor lauter Bäumen nicht« versteht man nur in Kombination mit der Illustration von Ben, die sie deshalb auch mittels Beamer und Leinwand an passender Stelle einblendete.

Tobias O. Meißner
Tobias bezeichnete sich als Leichtgewicht unter den Autoren, nachdem er mühelos das Podest erklommen hatte und stellte einen übernatürlichen Zusammenhang zwischen den Geschichten des Abends her. Mit ihm endete der Textteil und die Diashow mit Bildern der Anthologie leitete zum Kunst- und Partyteil über.
Ein reger Run auf die Künstlerschafft begann und es wurden noch fleißig Autogramme und Pläne ausgetauscht.

Simon signiert strahlend
Ein schönes Buch, ein schöner Abend in schöner Gesellschaft – ein Hoch auf die Fantasie und all die kleinen Leute, die uns inspirieren und unsere offenen Ohren und Herzen verdienen.
Die Welt dreht sich einfach nicht weiter
Trotz Internet und GPS habe ich oft das Gefühl, wir als Menschheit kommen keinen wichtigen Schritt voran. Für schnellen Profit wird die Umwelt zerstört, werden andere Menschen ausgebeutet und ermordet. Wie man an den Dieselbetrügern und Monsanto sieht, auch völlig straffrei.
Erschreckend zu sehen, dass bestimmte Idiotien immer wieder kehren, egal wie oft man dagegen ankämpft.
»The Word for World is Forest« von Ursula K. Le Guin ist so ein aufrüttelndes Zeichen gegen Rassismus, Umweltzerstörung und Diskriminierung.

The Word for World is Forest von Ursula K. Le Guin, Cover: Darell Gulin und Jamie Stafford-Hill
1972 erschienen und Hugo-prämiert, gehört es zu den bekanntesten Werken der im letzten Jahr verstorbenen Autorin und ein Lesezirkel im SFN bot mir die Gelegenheit, diese Lücke endlich zu schließen. Da es keine aktuelle deutsche Ausgabe des Werkes gibt (von Plänen dafür habe ich unken hören), erwarb ich im Otherland eine englischsprachige Ausgabe von 2010.
Während der Lektüre verstärkte sich mein Eindruck immer mehr, dass Le Guin da eine Entwicklung beschreibt, die sich leider genauso auch gerade auf unserem Planeten abspielt. Für Holz und Drogen wird Urwald gerodet und Eingeborene ermordet. Auch die Verachtung gegenüber Frauen und Nichtweiße findet sich gefühlt genauso auch heute. Immer noch.
Ziemlich erschreckend und deprimierend. Wo bleibt unsere Liga der Intelligenz, dies zu ächten und verbieten?
Nichtsdestotrotz war es eine lohnenswerte Lektüre für mich. Ich konnte zudem endlich einmal wieder ein Buch im englischen Original lesen und es ging sogar erstaunlich gut. An wichtigen Stellen musste ich schon gründlich nachdenken, aber insgesamt konnte ich das Buch flüssig lesen. Le Guin zählt zu Recht zu den wichtigen literarischen Stimmen, und vielleicht bewirken ihre Werke ja doch irgendwann etwas.
Wie gewohnt, gibt es eine etwas ausführlichere Besprechung drüben im Fantasyguide: The Word for World is Forest von Ursula K. Le Guin
Die coolste Reflektion der Fantasie ist Cyberpunk
Interviews mit spannenden Menschen über tolle Bücher mag ich gern und führe sie auch selbst in lockerer Regelmäßigkeit, jedoch am liebsten schriftlich. Aus gutem Grund. Mein Einfingersuchsystem zum Schreiben passt eher suboptimal zum Transkribieren langer Interviewaufzeichnungen.
Aber manchmal geht es nicht anders. Bei Wolfgang Neuhaus war ich mir gleich sicher, dass ich ihn in persona treffen musste, da er es mit der Wortwahl und Wortbedeutungen sehr genau nimmt und eine Frage in einer Mail viel zu ungenau formuliert sein könnte.

Wolfgang Neuhaus und sein Buch »Die Überschreitung der Gegenwart«
Ich hatte seinen Essay-Band »Die Überschreitung der Gegenwart« von Memoranda-Chef Hardy Kettlitz bekommen und mit viel Freude gelesen. Vor allem weil es dort nicht nur um SF-Werke ging, sondern auch um die Bedeutung bestimmter dort beschriebener Ideen für die Weiterentwicklung der Menschheit beziehungsweise unserer Art des Zusammenlebens. Es ging um Cyberpunk und damit verknüpft um Posthumanismus. Was ja erst einmal nur Schlagworte sind, bei Wolfgang aber schnell zu Lebenskonzepten werden.
Das interessierte mich und so wollte ich mehr wissen. Oberflächlich kannte ich ihn von den Gatherlands im Otherland, wo er etwa über Lem referierte. Aber ihn in seinem Büro zu sprechen, war dann doch eine andere Hausnummer. Fast zwei Stunden dauerte unser Gespräch und ich saß mehrere Wochen immer wieder an der Transkribierung. Doch am Ende, nach einer großen Endorphinausschüttung konnte ich das Manuskript zur Abnahme verschicken und nun endlich ist das umfangreiche Interview im Fantasyguide online.
Es brachte mich unter anderem dazu, bei Youtube nach »Max Headroom«-Folgen zu suchen und ich erlag schnell dem 80er Jahre Charme der Serie.
Nehmt euch etwas Zeit. Ihr lernt einen interessanten Denker und SF-Fan kennen, der es sich nie leicht macht mit dem Antworten, dafür aber auch etwas zu sagen und zu erzählen hat. Und vielleicht regt es an, mal in den SF-Jahren oder in Wolfgangs Essay-Band zu schmökern: Interview mit Wolfgang Neuhaus
Das Zombiezünglein an der Waage
Als die Otherlander ihren letzten Stargast für das Jahr 2018 ankündigten, klingelte bei mir nichts: Nate Crowley.
Noch nie gehört.
Aber egal, wer ins Otherland kommt, hat Publikum verdient!
Als ich ankam, sah ich einen Mann mit Baby auf dem Arm und es gab keinen Zweifel für mich: Das muss Nate sein!
Exakt. Die junge Dame auf seinem Arm, war seine Tochter und ihr Name hat etwas mit Wasser zu tun, aber ich verstand ihn nicht genau. Während wir später ihren Vater in Beschlag nahmen, wurde sie im Hintergrund von ihrer Mutter gestillt. Ein unvergesslicher und auch wieder ganz typischer Otherland-Moment.

Nate und seine Frauen
Wer ist nun aber Nate und was macht er im Otherland?
Die beste Buchhandlung der Welt zieht jede Menge Phantastik-Fans an, die lieber englische Originale lesen und so bildete sich der Speculative Fiction Book Club, der sich einmal im Monat trifft und jeweils ein Buch diskutiert, das man beim letzten Treffen auswählte.
Und hier schlug »The Death and Life of Schneider Wrack« von Nate ein wie eine Bombe. Inci schrieb darüber nicht nur begeistert im Otherland-Blog, sie kontaktierte auch gleich Nate und schwups dachte er sich, diese Fans guck ich mir mal an. Und zur Sicherheit brachte er seine beide Frauen mit. Als Rückendeckung, wie der Abend ja zeigte.

Nate und Inci, im Hintergrund scherzt René mit Nates Tochter
Ich muss gestehen, dass mein Englisch bei weitem nicht ausreichte, mehr als Grundzüge der Diskussion über das Buch zu verstehen, aber Nate las sehr lustig vor und ein, zwei Gags bekam sogar ich mit.
Er hatte auch ein Exemplar seines Buches »100 Best Video Games (that never existed)« dabei und seine Kostproben daraus brachten auch mich zum Lachen.

Dust ist das Lieblingsmonster seiner Frau
Nate hat in jungen Jahren in einem Aquarium-Laden gearbeitet und seither ein gespaltenes Verhältnis zu Fischen, was direkte Auswirkungen auf den Horror in »Schneider Wrack« hat. Und auch bei den »Video-Games« deutlich zu spüren war.
Es machte großen Spaß, die Book Club Leute vom Buch schwärmen zu hören und dabei konnte ich immer deutlicher erkennen, dass ich das Buch wohl unbedingt lesen muss. Gerade bin ich ja mitten in einem englischsprachigen Buch und eigentlich sollte das passen. Ich muss ja hinterher keine Klausur zum Inhalt schreiben.

Beantworte alle Fragen: Nate
Ein toller, erinnerungswürdiger Abend, wie ich ihn liebe. Ich habe etwas völlig Neues kennengelernt und die Lesung war wahrlich familiär. Etwas ähnliches gab es schon mal, als nämlich Dan Wells mit seiner Großfamilie im Laden weilte und las. Ich fiel ja aus den Socken als Simon mir verklickerte, dass jener Abend bereits 2014 stattfand. Boah, soweit zurück hätte ich das nicht geschätzt.
Apropos Simon Weinert! Sein fulminanter und gewiefter Bösewichtroman »Tassilo, der Mumienabrichter« erschien einst als eBook und limitierte Taschenbuchausgabe, die man nur im Otherland erwerben konnte. Nun verkündete mir Simon stolz, dass es eine Neuauflage bei Golkonda im Frühjahr geben wird!
Hoffentlich wird das Buch jetzt endlich zum Megaseller, denn Simon reist so gern durch Amerika …
Und es gibt ein neues Cover! An mir wird’s nicht liegen!

Simon Weinert mit dem Golkonda-Frühjahrsprogramm
So, für diese Woche kann ich zufrieden mit mir sein: Zweimal den inneren Elf besiegt und zu Lesungen gegangen. Nimm das, dunkler Winter!
Die freien Geister von Erdsee
Am 29.11. lud der Verein Weltlesebühne ins Otherland. Im Zentrum stand Karen Nölle als Übersetzerin der »Erdsee«-Prachtausgabe sowie der »The Dispossessed«-Ausgabe »Freie Geister« bei Tor.

Karen Nölle und Nadine Püschel
Da ich den Prachtband ganz unverhofft im Briefkasten vorfand und seither abends ab und zu in dem zwar wunderschönen, aber echt schweren Band lese und auch irgendwann bespreche, freute ich mich sehr auf die Gelegenheit, die Übersetzerin kennenzulernen.
Sie übersetzte nicht alles, Band 4 wurde von ihrem Mann, Hans-Ulrich Möhring, ins Deutsche übertragen, der auch im Publikum saß.

Hans-Ulrich Möhring
Grandioserweise, denn er ist der »Otherland«-Übersetzer! Unter uns befand sich dann auch noch Anne-Marie Wachs, die für Golkonda den Essay-Band »Keine Zeit verlieren: Über Alter, Kunst, Kultur und Katzen« übersetzte.
Da auch Hannes Riffel und Hardy Kettlitz anwesend waren, überschlugen sich Wissensvermittlung, Insiderwissen und Literaturbegeisterung in stimmungsvollen und gewaltigen Saltos.
Die Moderation übernahm die Übersetzerin Nadine Püschel mit angenehm fröhlicher Begeisterung und stellte Karen, die Werke und auch das Besondere an Ursula K. Le Guin vor.

Nadine Püschel
Zwar setzte sie ihre Bedeutung in Deutschland etwas weniger hoch an, als wohl der Großteil der anwesenden Fans, aber das schmälerte die gemeinsame Freude am Werk der großen Schriftstellerin nicht im Geringsten.
Karen konnte Ursula K. Le Guin noch persönlich treffen, sie starb ja im Frühjahr, und berichtete über das starke Interesse der Autorin an einer ordentlichen Übersetzung der Namen, sie hatte da wohl böse Erfahrungen mit einem bulgarischen Übersetzer gemacht.

Schwere Lektüre
In der Welt von »Erdsee« ist Sprache sehr wichtig und in der deutschen Übersetzung wären englische Namen Fremdkörper.
Wir hörten Ausschnitte aus den beiden ersten Erdsee-Geschichten von Karen, während Hans-Ulrich Möhring vom Blatt etwas aus dem vierten Band vortrug. Dreimal stolperte er dabei über Schreibfehler und bat ganz burschikos grinsend seine Frau, im Buch nach zu sehen, ob sie es ins Buch geschafft hätten, jedoch Hannes hatte alle gnadenlos gekillt.

Frisch aus dem Drucker
Das Bild des sich am Frühstückstisch abstimmenden Übersetzerpärchens flimmerte durch den Raum und man konnte auch spüren, dass die beiden sich und ihr Leben ganz wunderbar finden.
Die beiden fuhren auch auf den Spuren der Handlungsschauplätze in die USA und besuchten das Steens Mountain Country. Hier her kam Le Guin nicht nur 50 Jahre lang, Licht und Klima bestimmen ihre beiden Werke sehr stark. Karen konnte hier das Gefühl für die Landschaft entwickeln, ohne das ihr die Übersetzung nicht gelingen wollte.
»The Dispossessed« ist für SF-Fans ähnlich bedeutsam wie »Earthsea« für Fantasy-Fans und das Buch erhielt mit »Freie Geister« nun bereits den dritten deutschen Titel.

Karen las uns eine eine ungewöhliche Hotelszene vor.
Hannes erklärte dann auch, wie er dazu kam. »The Dispossessed« war für Le Guin auch eine Reminiszenz an Dostojewskis »Бесы«, im englischen »The Possessed«. Da bei Fischer die Übersetzung von Swetlana Geier »Böse Geister« heißt, fand er es nur passend, wenn nun Le Guins Werk »Freie Geister« benannt wurde. So wäre Dostojewski wieder im Spiel, das Wort Freigeist klingt an mit dem Bezug zum Anarchismus und der Antagonismus zum Besessen sein wird auch noch deutlich.
Solche kleinen Schwenker machen die Abende im Otherland zu etwas besonderem.
Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich mir The Word for World is Forest von Le Guin an diesem Abend kaufte und als Sahnehäubchen hörte ich es Raunen, dass in einigen Jahren der Bedarf an einer Neuübersetzung gestillt werden könnte.

Nicht nur Karen und Nadine hatten ihren Spaß
Doch bis dahin gibt es noch genug zu lesen, Bücher auf und ab in ferne Welten, other lands und fremde Betten!