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Der Relevanztanz

Kurz vor Jahresende habe ich zwar nicht alle Rezensionen abgearbeitet, aber zumindest die letzten beiden Lesezirkelbücher besprochen.

Bereits im November befasste man sich drüben im SFN mit einem der drei diesjährigen Bücher von Dietmar Dath: »Neptunation oder Naturgesetze, Alter!«.

Neptunation oder Naturgesetze, Alter! von Dietmar Dath

Das Buch kam nicht gut weg. Vor allem lag es an der Unausgewogenheit von Story und wissenschaftlichen Diskussionen. Vermutlich hat sich das Lektorat nicht getraut, rigoros einzudampfen oder aber Dath war dieser Part besonders wichtig. Ich habe fast einen Monat benötigt, das Buch zu lesen. Dabei ist es spannend und die wissenschaftlichen Themen interessieren mich auch, soweit ich sie verstehe, aber sie es gibt davon einfach zu viele im Buch und was mich noch mehr ärgerte: Die fein ziselierten Dathschen Figuren referieren alle mit der selben Stimme. Frank Böhmert nannte das den Dath-Fluss und das trifft es sehr genau.

Ich denke, Dath will zu viel. Auf der Rückseite wird ein Zeit-Autor damit zitiert, dass Dath der einzig relevante deutschsprachige SF-Schriftsteller sei. Was für ein Unfug. Was für ein ärgerlicher Unfug. Vielleicht beschränkte sich der Journalist mit Absicht auf Schriftsteller, denn ich habe dieses Jahr eine Menge hochwertiger SF von deutschsprachigen Autorinnen gelesen und selbst unter den Autoren hat Dath ein paar Kandidaten auf Augenhöhe. Mir ist sowieso unklar, was das für eine Relevanz sein soll. Im Feuilleton erwähnenswert zu sein? Mal wieder den KLP zu bekommen?

Dieser Lars Weisbrod sollte den Goldenen Wald mal verlassen und die echte Welt betreten.

In meiner Rezi gehe ich auf den Inhalt des Romanes ein: »Neptunation oder Naturgesetze, Alter!« von Dietmar Dath

Im Dezember gab es einen Klassiker-Lesezirkel und man las mal wieder etwas von Philip K. Dick. »Der galaktische Topfheiler« stand zwar in meinem Regal schon als Bestandteil der Heyne-Regenbogengesamtausgabe, aber eine nigelnagelneue Übersetzung bei Fischer verlockte zum Zweitbuch.

»Der galaktische Topfheiler« von Philip K. Dick, Cover: Rosemarie Kreuzer und Thomas Degen

Der Roman ist abgefahren, befasst sich mit dem Faustthema und ist zudem herzerfrischend kurz und knackig. Da kann sich Dietmar Dath gern zehn Romane von abschneiden. Jetzt weiß ich endlich auch, wie die Kurzgeschichtenreihe von Michael Schmidt über die Galactic Pot Healer Bar zu ihrem Schauplatz kam. Inspiration geht manchmal herrliche Wege.

Auch hier wieder mehr in meiner Rezi: »Der galaktische Topfheiler« von Philip K. Dick

Das war’s dann erst einmal hier im Blog für dieses Jahr. Bald kommt der Jahresrückblick und der versprochene Beitrag zu den SF-Werken von Autorinnen.

Allen einen schönen Start in die Zwanziger!

Dann ist es einfach nur gut

Wenn Aliens uns im dunklen Wald nicht finden, bietet es zumindest die Möglichkeit, coole Lesungen zu besuchen. Besser als eventuell zu Babybrei zerhäckselt zu werden.

Weil wir trotzdem ins All funken, geh ich also lieber gleich in die Stadt und erlebe was.

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Die Heilig-Kreuz-Kirche

Die Lesung von Cixin Liu (eigentlich Liu Cixin, aber weil Liu der Nachname ist, schreibt mans meist andersrum) am vergangen Mittwoch stand deshalb auch dick in meinem Kalender. Das Otherland fungierte als Gastgeber der Lesereisekarawane in Berlin. Man mietete die Heilig-Kreuz-Kirche am anderen Ende der Zossener Straße und trotz Eintritt, füllte sich die Kirche bis zum überletzten Platz. Die Crew war sichtlich aus dem Häuschen und zappelte sehr nervös durch das Gemäuer.

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Simon Weinert, Jakob Schmidt und Wolfgang Tress

Auf die Bühne kamen dann neben Cixin Liu, die Übersetzerin Dr. Jing Bartz, Moderator Dietmar Dath und als Vorleser Mark Bremer.

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Dietmar Dath, Jing Bartz und Cixin Liu

Dietmar Dath trank Tee und zeigte trotzdem Nerven. Der Mann gehört zu den besten deutschsprachigen SF-Autoren, ist ein mehr als streitbarer Kritiker und denkbar bestens geeignet, einen solchen Abend zu moderieren. Man sah ihm an, wie die Gedanken und Ideen in ihm arbeiteten und dann fertigte er sich mit enthusiastischen Schwung Notizen an. Kam diesjahr übrinx immer noch kein Buch von ihm raus. Kommt wohl gar nicht mehr zum Bücherschreiben.

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Noch schnell ein Universum erschaffen …

Die Trisolaris-Trilogie ist nicht nur weltweit sehr erfolgreiche Hard-SF, sie brachte der westlichen Welt überhaupt erst einen Blick auf die chinesische Science-Fiction. Im zweiten Band, Der Dunkle Wald, der gerade erst im Frühjahr auf Deutsch erschien, befasste sich Liu mit dem Fermi-Paradoxon und beantwortete es mit einer so simplen wie einleuchtenden Erklärung. Da draußen sind lauter verborgene Raubtiere und wer im dunklen Wald seine Taschenlampe anmacht, hat sich auszivilisiert. Darum hört man von anderen Rassen immer nur einmal.

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Cixin Liu

Um diese unschöne Zukunftsvision ging es dann auch in einer der Fragerunden. Neben weiteren Hard-SF Themen wie etwa der Endlichkeit von Erkenntnis und dem Moment, wenn alle Probleme gelöst sind und es einfach nur gut sein wird.

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Mark Bremer

Mark Bremer las insgesamt zwei Stellen aus dem Buch vor. Dazwischen und davor stellte Dietmar seine drei Fragen und im Anschluss wurden noch Fragen aus dem Publikum beantwortet. Vermutlich die Hälfte der Anwesenden stammten direkt aus China oder haben Chinesisch im Elternhaus gelernt, was den Abend zu einer Art Heimspiel für Cixin Liu machte.

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Jing Bartz und Cixin Liu

Die Übersetzerin Jing Bartz – sie hat nicht das Buch ins Deutsche übertragen – bezauberte durch ihr Eingeständnis, die physikalischen Details nicht zu verstehen, lieferte uns aber eine sehr sympathische Übersetzung der Fragen und Antworten.

Auch Mark Bremer begeisterte durch eine ausgereifte und sprachlich detaillierte Lesung. Vielleicht hätte man auch Cixin Liu etwas lesen lassen sollen, bei so vielen, die ihn verstanden haben.

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Nur echt mit ExLibris und Signatur

Die Schlange zum Signieren zog sich dann durch das gesamte Kirchenschiff und auch wenn man nur drei Bücher signieren lassen durfte, wird sich das Ganze noch eine Weile hingezogen haben. Zum Glück saß ich in der zweiten Reihe und schaffte es daher schnell nach vorne. Und mehr als drei Bücher hab ich auch gar nicht von Cixin Liu. Band 2 werde ich aber bestimmt nicht vor dem Erscheinen von Band 3 im nächsten Frühjahr schaffen.

Die Lesung war großartig und das bleibt sie und nun können diese Aliens kommen.

Wenn der Funktor strahlend morpht

Noch heute rätsle ich, wie ich durch das Mathe-Abi kam. Ähnlich dem Russischen habe ich das Meiste instant wieder vergessen. Aber vermutlich würde ich mit meinem Schulwissen, wäre es noch präsent, auch nicht mehr von dem verstehen, was in Dietmar Daths jüngstem Werk (hab nachgeguckt, stimmt noch) Der Schnitt durch die Sonne zum zentralen Thema erhoben wird.

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Der Schnitt durch die Sonne von Dietmar Dath

Intelligente Sonnenstrudel holen sich ein menschliches Expertenteam um einen Bürgerkrieg zu beenden (ganz grobe Inhaltsangabe).

Die Menschheit wurde dabei erst in dem Augenblick interessant, da sie die Kategorientheorie entwickelte, was bereits in den 1940er Jahren geschah. Von dieser Theorie hatte ich bis dato noch nie gehört.
Dath geht anscheinend davon aus, dass es einem Großteil der Leserschaft ähnlich geht und lässt eine uns bereits aus einem anderen Werk von ihm bekannte Mathematikerin, Vera Ulitz (Deutsche Demokratische Rechnung), diese Theorie ausführlich im Buch erklären. Nach der ersten Abstraktionsstufe hatte sie mich leider verloren trotz anschaulicher Beispiele. Mein Hirn verknäult sich dabei automatisch. Das ist wie mit der Definition von Hermeneutik. Ich lese die Worte aber sie transportieren keinen Sinn für mich.

Aber zumindest reicht mein Verständnis aus, um eine Vermutung von Daths Konstruktionsidee entwickeln zu können: Er nimmt ein mathematisches Modell und nutzt es als Ideen-Geber für einen SF-Roman.
Seine Figuren sind Abbildungen, ihre Beziehungen Morphismen und ihre Handlungen Funktoren. Die Sonnenstrudel werden kategorisch kategorientheoretisch fett geschrieben und selbst ein berühmtes Mathe-Monster darf als 196.883 eine zentrale Rolle spielen.

Sehr wahrscheinlich steckt noch viel mehr in den Zeilen, aber selbst das Wenige, das sich mir erschloss, ist schon ungemein faszinierend. Sobald man nämlich begreift, wie das da auf der Sonne tatsächlich abläuft, gewinnt der Roman eine viel größere Tiefe. Es ist wie mit diesen 3D-Bildern, für die man den Fokus der Augen verändern muss, um dann plötzlich in das Bild hineinsehen zu können.

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Dietmar Dath 2015 während einer Lesung im Brechthaus

Natürlich steht auch dieser Roman ganz in Daths politischem Kontext. Er will, dass sich bestimmte Dinge verändern, dass man jene anspricht, die falsch laufen und sich mit anderen zusammenschließt, um sie gemeinsam anzupacken.

Diese Verbindung von cooler SF-Idee, politischer Haltung und literarischem Anspruch liegt exakt auf meiner Wellenlänge, selbst wenn sie sich mal in ein Energieniveau aufschwingt, in der sie meinen Wahrnehmungshorizont verlässt.
Aber Literatur darf auch ruhig mal die Synapsen pieksen.

Ein paar Sätze mehr gibt’s in meiner Rezi: Der Schnitt durch die Sonne von Dietmar Dath

Goldige Zeiten

Das Ergebnis eines Kickstarterprojektes einer kalifornischen Autorin erwartet man nicht unbedingt in der Liste von Neuerscheinungen eines deutschen Verlages.

Doch zum Glück reden wir hier von FISCHER Tor. Mit der geballten Macht des US-amerikanischen Mutterhauses kann man auch so etwas Unwahrscheinliches wie Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten von Becky Chambers in die hungrigen SF-Regale bringen.

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Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten von Becky Chambers

Markus Mäurer stellte den Roman vor einiger Zeit auf seinem Blog vor und spendierte die Rezi auch dem Fantasyguide. Er schreibt darin eigentlich schon alles, sodass ich mir diesmal eine eigene Rezi dort erspare und hier im Blog nur ein paar klitze Kleinigkeiten ergänzen will.

Was Dietmar Dath in 20 Seiten rausballert, nämlich intensive Figuren-Biographien, lässt Becky Chambers in der deutschen Übertragung von Karin Will, über 539 Seiten langsam in die Handlung einfließen. Dabei geht es »für praktisch alle Figuren auch ans Eingemachte«, wie Frank Böhmert schrieb.

Trotz einiger dunkler Momente ist der Flug der Wayfarer reinste Wohlfühl-SF. Jetzt nicht, weil alles superduper ist, sondern weil die Mischung für mich stimmt.

Becky Chambers erzählt sehr warmherzig. Man spürt ihre Liebe zur Science-Fiction, zu cooler Technik und fremdartigen Aliens samt ihrer Soziologie, die ja sonst viel zu oft außen vor bleibt. Ihr Weltenbau bietet Platz für Konflikte, Utopien und technische Voraussagen. Sogar Essen und (unkonventioneller) Sex kommen nicht zu kurz. Wohldosiert, ohne jegliche verklemmte oder pornographische Peinlichkeit.

Ein sehr entspanntes Büchlein.

Leider bin ich Gott

Als Ungläubiger ist Religion ja immer etwas, dem man sich intellektuell nur annähern kann. Komplett verstehen werd ich das wohl nie.

Aber da ich mir viele Dinge vorstellen kann, käme es auch in Betracht, dass etwa meine Bartstoppeln religiös sind und ich jenes Überwesen darstelle, das sie regelmäßig zurechtstutzen muss.

Tut mir Leid, Jungs, aber dem Zusammenleben mit einer Göttin muss auch ich Opfer darbringen.

Warum sich nun Dietmar Dath mit Religion befasst hat, weiß ich nicht, aber sein kurzzeitig jüngster Roman, Leider bin ich tot, setzt sich intensiv damit auseinander und das über weite Strecken außerhalb meiner Verständnismöglichkeiten.

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Leider bin ich tot von Dietmar Dath, Cover von Oliver Scheibler

Zumindest aber die Anfänge seiner Gedankenspiele leuchten mir ein. Dass sich komplexe Systeme zu Bewusstsein aufschwingen können, beweisen wir Kohlenstoffverbindungen schon zur Genüge, warum also nicht auch der Wind, oder der Geldfluss.

Dath baut in seinen Roman auf der metaphysischen Ebene dann aber noch Kain und Abel ein, mit denen ich gar nichts anzufangen weiß, außer dass einer den anderen umbrachte und dieser Brudermord für die Christen von Bedeutung ist.

Im Buch geht das hin und her, Zeitebenen wechseln, sind veränderbar wie Kain selbst, der auch eine Frau sein kann. Metawelten existieren nur einen Spiegelblick entfernt und so weiter.

Alles sehr verworren. Das bekam ich dann nicht mehr mit dem denkenden Wind oder Gräsern verknüpft.

Spannend an Leider bin ich tot ist aber viel mehr der bunte Gegenwartsmix. Ein Großteil der Handlung spielt in 2012 und Dath dokumentiert quasi einen bestimmten Zustand der Bundesrepublik anhand grandios erzählter Lebenswege. Dem Mann fließen farbenprächtige Figurenarchetypen nur so aus den Fingern. Obwohl ich Gegenwartsliteratur gar nicht mag, muss ich zugeben, das hier mit Spannung verfolgt zu haben.

Keine Empfehlung als Gesamtpaket, außer man ist philosophisch versiert genug, aber eine lohnenswerte Kostprobe dathscher Stilistik bietet sich darin allemal.

Mehr dazu in meiner Rezi: Leider bin ich tot von Dietmar Dath

Apropos Gottsein. Die Abstimmungsbögen zum KLP sind angekommen. Frank Böhmert hat sich grad zu seinen Favoriten geäußert. Ich muss mich da jetzt entscheiden, ob ich Frank Hebbens Erzählung Algorithmus des Meeres oder Daths Venus siegt bevorzuge. Verdammt schwere Sache für einen Preisgott wie mich. Vielleicht muss ich den Würfelgottjob übernehmen.

Es ist echt nicht leicht, ein Gott zu sein.

Na dann macht mal Krach!

Literturzeitschriften gibt es bestimmt sehr viele und darum wunderte es mich nicht, als im Horror-Forum das Magazin Krachkultur beworben wurde, und ich noch nie etwas davon gehört hatte. Das gibt’s immerhin schon seit 1993.

Aber bisher war ich wohl auch nicht Zielgruppe, aber eine Ausgabe zum Thema Phantastik trifft mich direkt zwischen den Augen.

Krachkultur 17/2015, Cover von Yanko Tsvetkov

Krachkultur 17/2015, Cover von Yanko Tsvetkov

Warum ich es aber sofort haben musste, waren die Namen Dietmar Dath, Anja Kümmel und Leif Randt.

Daths SF ist meiner Meinung nach im Augenblick das Beste, was in deutscher Sprache zu bekommen ist und in die Krachkultur semmelt er auch gleich ein wortgewaltiges Manifest. Darin geht es um das Selbstverständnis der Phantastik und um dumme Literaturkritik. Man spürt seine Wut und Frustration, dass es so viele abwertende Meinungen zu phantastischen Werken gibt, die weder verstehen, wie phantastische Werke funktionieren, noch genügend Erfahrungen im Genre haben, um tatsächlich fundiert urteilen zu können.

Über Daths Messlatte würde ich es auch nicht schaffen und zudem habe ich auch keine Hemmungen gnadenlos über nichtphantastische Werke zu lästern. Falls ich so etwas lesen sollte.

Anja Kümmels Roman Träume digitaler Schäfer habe ich vor Jahren gelesen. Der Roman war vielschichtig, seine historischen Kapitel sehr düster, traurig und sehr feministisch, auf eine böse-kämpferische Art. Der SF-Teil war großartig. Ein ausgeklügeltes Genderproblem, sprachlich faszinierend und tatsächlich für die Handlung bedeutsam.

Nach der Rezi konnte ich sie dann auch noch für ein Interview gewinnen und das wurde über einige Jahre zum absoluten Zugriffsmonster im Fantasyguide. Teilweise 7000 Aufrufe. Einsamer Ausreißer.

Darum war ich auch gespannt auf den Romanauszug zu ihrem nächsten Roman und er verspricht tatsächlich wieder eine ungewohnte Lese-Erfahrung.

Leif Randt konnte in der Krachkultur einen älteren Text unterbringen, mit dem er 2006 den openMike gewann. Der Ton erinnert an seinen Roman Planet Magnon, den ich vor kurzem erst mit Faszination las, vor allem, weil er eine Zukunft aus einem ganz anderen Umfeld entwickelt. Aus ihm sprechen die sich selbstverwirklichenden Bionade-Hippster und diese Tonart hatte ich bisher in deutschsprachiger SF noch nicht vernommen.

Also SF-seitig war die Krachkultur ein Pflichtkauf. Horror ist nicht so mein Ding, aber gut erzählte Schauergeschichten weiß ich zu würdigen. Leider bot das Magazin hier keine Höhepunkte, selbst Tobias O. Meißners Geschichte war mir zu gewöhnlich. Die Texte sind alle toll geschrieben und auch super übersetzt, aber im Vergleich zur Experimentierfreude ihrer SF-KollegInnen gab sich das Horror-Team etwas unkreativ.

Und was ist mit der Fantasy? Tja, die hat sich wohl mit den Herausgebern verkracht.

Aber nichtsdestotrotz, das Magazin fand ich lesenswert, und in meiner Rezi geh ich auf alle Texte etwas näher ein: Krachkultur 17/2015 hrsg. von Alexander Behrmann und Martin Brinkmann

Gekaufte Utopien

Gelegentlich grüble ich darüber nach, warum mich Gegenwartsliteratur völlig kalt lässt. So genau kann ich das gar nicht begründen. Letztlich liegt es ja auch an den erzählten Geschichten. Aber irgendwie reizen mich die meisten Buchbeschreibungen überhaupt nicht.
Deutsche Demokratische Rechnung hätte ich nie angefasst, wäre sie nicht von Dietmar Dath gewesen.
Zu Beginn des Lesens war ich überrascht, wie interessant man dann doch über 2014 in der BRD schreiben kann. Ruckzuck steckte ich in der Geschichte und folgte Vera durch ihr verwirbeltes Leben. Stand ich plötzlich doch auf Gegenwartsliteratur?
Und dann sagte Dath auf der Lesung im Brechthaus, selbstverständlich sei das Buch SF.
War ja so klar.

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Andreas Platthaus kann Dietmar Dath das Wasser reichen. Deutsche Demokratische Rechnung im Brechthaus am 29.05.2015

Das letzte Mal, als mich aktuelle Literatur brennend interessierte, war zum Ende der DDR hin und hat vermutlich auch mit dem Erwachsenwerden zu tun. Vielleicht auch am Mangel an SF im Regal meiner Bibliothek.
Aber dieses Lechzen nach versteckten Wahrheiten gehörte irgendwie dazu. Im Vergleich zudem, was damals an neuen Gedanken auf mich einprasselte, gerade aus der jungen Sowjetliteratur, ist heute irgendwie die Luft raus. So scheint es mir zumindest. Aber ich suche auch nicht wirklich.
Im Gegenzug fehlt mir gerade in der deutschsprachigen SF das Interesse an Stoffen, die sich an der Gegenwart reiben. Politische SF ist Mangelware. Neben Dath fällt mir spontan nur noch Uwe Post ein.

Das mag etwas mit dem verstärkten Unterhaltungsanspruch in der Literatur zu tun haben. Dieses Schreiben für den Markt. Man muss ja davon leben können. So entstehen gekaufte Utopien.
Passend zum Thema fand ich heute in der FAZ online die Rede Erst verschwinden die Dörfer, dann wir von Norbert Niemann. Nachdenklich stimmender Text.
Wobei natürlich der Blick auf das professionelle Lage notwendiger Weise mehr Marktabhängigkeit offenbart. Unabhängige KünstlerInnen, auch in der Literatur, gibt es bestimmt weitaus mehr.
Tja und wäre es ohne Markt besser? Vielleicht. Man müsste, und da sind wie wieder bei Daths Deutscher Demokratischer Rechnung, aus den Fehlern des Scheiterns lernen.

Deutsche Demokratische Rechnung von Dietmar DathDeutsche Demokratische Rechnung von Dietmar Dath

Und was im sozialistischen Literaturwesen alles schieflief, erkundet gerade Gesine von Prittwitz auf ihrem SteglitzMind-Blog in der sehr lesenswerten Artikelreihe Das ungelöste Verhältnis von Politik und Ökonomie. – Buchhandel in der DDR.
Kaum vorstellbar, aber auch ich bin eine Zeitlang jeden Tag in die Karl-Marx-Buchhandlung gerannt, um ja keine spannende Neuerscheinung zu verpassen. Denn die Exemplare waren abgezählt. Seltsame Zeiten.

Aber ganz aktuell ist meine Rezi:
Deutsche Demokratische Rechnung von Dietmar Dath

Die richtigen Fragen

Während ich noch mit den richtigen Worten für die Rezi zu Verrückt nach Kafka von Anatole Broyard hadere, das mir Frank Böhmert kürzlich in die Hände drückte, kämpfe ich auch schon mit einer Meinung zum nächsten Buch, Dietmar Daths Deutsche Demokratische Rechnung.
Er selbst bezeichnet es als SF und das stimmt auch so ein bisschen aber vielmehr noch ist es ein ofenheißer Gegenwartsroman. Innensicht einer linken Szene, die mir vollkommen fremd ist.
Daran, wie es in mir grummelt und gärt, merke ich, dass Dath da die richtigen Fragen stellt und ich seine Antworten nicht mag, dass ich da noch werde nachdenken müssen.

Und was mach ein Dichter, wenn der Bauch und das Hirn in unterschiedlich dicken Suppen blubbern? Er schreibt ein Gedicht.

Wo die Kugel ihren Käfig berührt

An der Mauer stehen neue Parolen
frischer als jene
Wählt Liste 3, KPD!

unendliche Übermalungen
was einst Geschichte sein sollte
an der Friedhofsecke
wo der Geist meines Vaters den Vögeln lauscht
und alle Blumensträuße
in Baumeskühle länger überleben
geköpft und ins Wasser gestellt

nur eine Ecke weiter
gabs Molle mit Korn

frag mich nach Wunden
aus diesen Jahren
und keine wird politisch sein
nicht direkt
denn es gab fast nur
die ganze Welt in dem halben Land
das nicht klein sein durfte
und doch an Kleinmut zerbrach
und am Fluch jeder Diktatur

es gibt keinen Kit
für gebrochene Herzen
in verwesten Kadavern
am Ende bezahlt
jeder selbst seine
Deutsche Demokratische Rechnung
packt Trinkgeld dazu
oder gleicht bis auf den letzten Pfennig
die Schuld oder blinde Flecken aus

versuchen wir das nochmal
oder war es das jetzt
mit dem gerechten Leben
Zeit wird es doch
die Technik ist soweit
und jeder nach seinen Bedürfnissen
und jede erst recht

und mitten im bösen Kleinklein
guckt man hinaus in das lichte Morgen
dort winkt schon ein Banner
mit frohen Visionen
und weiteren Sprüchen
dazwischen das Nichts eines Abschnittswechsels
der nur für eine Maschine aus Zeichen besteht
damit sich der Schlitten bewegt
mit reichlich Klingklang
dem Schellen der Narrenkappe abgehört
doch er meint das alles ernst
in den sich verzweigenden Zeiten
mit veränderlicher Vergangenheit
und dem Achsoguten im Untergang
oder davor gewiss

bei all den Graffitis
die graue Wände lebendiger machen
oder rote Ziegelsteine
werde ich farblos bleiben

Entropie und Utopie

Nach drei Büchern und zwei Lesungen bin ich schon lange nicht mehr unvoreingenommen, wenn es um Dietmar Dath geht.
Meist begeistert mich ja eher das Werk bereits verblichener Autorinnen und Autoren, aber mit dem Dath kann ich wirklich etwas anfangen.

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Brecht schmult immer irgendwo hervor

Besonders reizt mich, dass er mich geistig herausfordert, Selten verstehe ich alles und ich muss oft genug über Sätze, Konzepte und Handlungsstrukturen nachgrübeln.

Daher ist es immer spannend, wenn er es selbst erklärt. Wie Freitag Abend im Brechthaus.

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Als Gesprächspartner, bzw. ein paar Fragen-Steller fungierte FAZ-Kollege Andreas Platthaus.

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Andreas Platthaus und Dietmar Dath sind Kollegen

Der stellte auch gleich den Abend unter den Eindruck eines anderen Kollegen, nämlich Dieter Bartetzko, den sie am Vormittag zu Grabe getragen hatten.

Dietmar ging später wiederholt auf ihn ein, eine vor allem kraftvolle Erinnerung an den Freund.

Es wurden die beiden Bücher vorgestellt, die im Frühjahr erschienen sind. Venus siegt, die Parabel über Stalinismus transferiert auf eine zukünftige Venus und Deutsche Demokratische Rechnung, eine Art Parallelweltgeschichte, die sich mit den Gründen für das Scheitern der DDR auseinandersetzt. Grob gesagt.
Beide Bücher lohnen sich, sie zu lesen und dann entdeckt man noch viel mehr darin.

Einige Geheimnisse verriet Dath am Ende seiner Lesereise, zumindest sagte er das.
Darunter auch, dass es sich bei Deutsche Demokratische Rechnung um einen SF-Roman handele, er könne auch gar nichts anderes schreiben.

Ich hatte mir das Buch am Vortag gekauft und schon bereits angelesen. Und tatsächlich wunderte ich mich, warum mir plötzlich ein Gegenwartsroman gefällt. Er spielt in 2014, BRD, Erde. Jetzt ist die Empathie erklärbar, SF, what else?

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Es stecken mehr als ein paar Worte in einem Buch von Dietmar Dath.

Auch wenn sehr vieles realistisch ist, gab Dath doch einige Beispiele, wo man diesen Realismus ruhig in Frage stellen sollte. Das betrifft zum Teil höhere Mathematik, wo man mir eh alles erzählen kann und ich hielte es für Phantastik.

Zu Venus siegt wusste Dath logischerweise noch mehr historische Figuren zu benennen, die darinnen zu finden sind. Funktionäre interessierten mich nie besonders. Da es in meiner Jugend zu viele von ihnen gab, musste ich etwa Bucharin googeln.
Mich wird das wahrscheinlich nie so faszinieren können, wie jemanden der im Westen nach Osten mit großen Augen sah.

Den Büchertisch bestückte übrigens die Otherland-Buchhandlung. Ich sah Simon Weinert da sitzen und just heute las ich im Newsletter, dass er am 14. Juli endlich die gedruckte Version von Tassilo – Der Mumienabrichter präsentieren kann.

Eine Sache berührte mich, weil sie so ein bisschen nach dem aussah, wie meine Zukunft sein könnte. Neben mich setzte sich ein alter Mann, der stolz erklärte, zur alten Garde zu gehören. Wie berühmt das Brechthaus schon vor dem Mauerfall war. Biermann in der Nähe und aus Westberlin seien sie gekommen. Ich vermutete, er hätte Deutsche Demokratische Rechnung nur gelesen und gekauft, der DDR wegen.
Und im Buch gibt es ja auch so eine feine Melancholie, die ich nicht mitempfinden kann. Auch mit Honecker habe ich kein Mitleid und mir ist es egal, wie zynisch es war, ihn im selben Knast festzusetzen, wie schon die Nazis.
Aber, ich finde es äußerst interessant. Entropie hat ihre Grenzen aber eben auch Potential.

Im Sog der Utopien

Wer zum Hugogate alle Hintergründe wissen will, kann sich in Christoph Jaroschs Blog Lake Hermanstadt umfassend informieren lassen.
Zum Hugo selbst gibt es ein cooles Nachschlagewerk, das Hardy Kettlitz in seinem Neuen Verlag MEMORANDA herausbrachte, einem Imprint des Golkonda Verlages, für den er in den letzten Jahren einiges an Setzerarbeiten leistete und somit wesentlich an der Qualität der dort erschienen Bücher Anteil hat.

Die Hugo Awards 1953 – 1984 von Hardy Kettlitz, Cover von s.BenesDie Hugo Awards 1953 – 1984 von Hardy Kettlitz, Cover von s.BENes

Die Hugo Awards 1953 – 1984 enthalten nicht nur sämtliche PreisträgerInnen, die Platzierten und Hintergründe zu den einzelnen Worldcons auf denen die Hugos jeweils verliehen wurden, Hardy ordnet viele Werke auch gleich in seinen ganz speziellen Experten-Kosmos ein. Für mich ein durchaus nützlicher Maßstab, da ich seine Meinung sehr schätze.
Damit ist das Buch auch eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema und verhindert, dass Zahlen und Infos die LeserInnen erschlagen.
Teil 2 wird dann bis 2015 reichen und es ist zu vermuten, dass dann auch die Sad Puppies Erwähnung finden werden.
Meine Rezi: Die Hugo Awards 1953 – 1984 von Hardy Kettlitz im Fantasyguide.

Ein ganz anderer trauriger Welpe ist der Protagonist in Dietmar Daths diesjährigen SF-Kracher: Venus siegt.

Venus siegt von Dietmar DathVenus siegt von Dietmar Dath

Der Aufbau einer freien Gesellschaft, in der intelligente Roboter, Menschen und künstliche Intelligenzen zusammenleben, muss sich mit Bürgerkrieg, Invasion und Zusammenbruch auseinandersetzen. Die Geschichte der zukünftigen Venusgesellschaft ist dabei ein Spiegelbild der Sowjetunion von der Oktoberrevolution über den Stalinterror und Totalitarismus bis hin zum Weltkrieg und seinen Umbrüchen.
Es gibt Figuren, die Lenin, Stalin oder Trotzki nachempfunden wurden. Mathematik spielt eine hohe und wichtige Rolle, was mich allerdings immer wieder abhängte, da mit höhere mathematische Konzepte nicht in den Kopf gehen, aber das stört bei einem ansonsten sehr lesbaren Science Fiction Roman kaum.
Mich hat der neue Dath jedenfalls nicht enttäuscht. Der dritte überdurchschnittliche Roman in Folge, den ich von ihm las – meiner Meinung nach ist Dath der aufregendste deutschsprachige SF-Autor.
Live davon überzeugen kann man sich übrigens am Freitag, dem 29.05.2015 ab 20:00 Uhr bei Lesung und Gespräch im Brecht-Haus. In meinem Kalender stehts schon drin!
Meine Meinung zum Buch habe ich auch in eine Rezi gegossen:
Venus siegt von Dietmar Dath

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