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Von wegen unsichtbar – das Science-Fiction-Jahr der Frauen

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Ulrich Holbein – Knallmasse

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In meinen Jahresrückblicken vermelde ich schon seit ein paar Jahren, wie die Anteil von Autorinnen zu Autoren auf meiner Lektüreliste ist. Die Dominanz der Männer führte mich zur Frage, warum so deutlich weniger Autorinnen in meinen Fokus gelangen. Eine Erklärung fand ich nicht. Anfang letzten Jahres nun gelang Theresa Hanning den Start einer fruchtbaren Diskussion zur Sichtbarkeit von SF-Autorinnen und ihrer Werke. Da gab es diverse Ideen, etwa spezielle Listen in der Wikipedia, die auch mir einiges zum Nachdenken mitgaben. Meine Lektüre stelle ich sehr willkürlich zusammen, also musste ich hier ansetzen und ich beschloss, meine Fühler aktiv auf Neuerscheinungen zu richten, die von Autorinnen stammen. Im Folgenden gehe ich zunächst auf das Problem mit der Sichtbarkeit ein um dann sieben Werke deutschsprachiger SF-Autorinnen zu betrachten, im Besonderen unter dem Aspekt, wie ich auf sie aufmerksam wurde.

Hierfür kann man die sehr vollständige Liste von Ralf Zacharias auf sf-lit.de nutzen oder ein paar Kanäle genauer im Blick behalten.

Meine wichtigste Quelle aber wurde Twitter. Durch Theresas Diskussion dort lernte ich etliche der Akteurinnen kennen, begann ihnen und ihren Verlagen zu folgen und bekam eine etwas breitere Vorstellung davon, wer sich als SF-Autorin sah, welche Werke als beachtenswert empfunden wurden oder was kurz vor der Veröffentlichung stand. Diese Twitter-Bubble wird wahrscheinlich auch nur einen kleinen Teil widerspiegeln, aber es ist der mir erreichbare Info-Fluss. Denn das Problem von Sichtbarkeit ist, dass sich SF-Autorin und potentielle Leserin / potentieller Leser in denselben Räumen aufhalten müssen.

Lange Zeit galten die beiden SF-Foren als erste Wahl zur Versorgung mit Informationen. Die jungen Autorinnen bevorzugen aber Plattformen wie Facebook oder Twitter. Das Problem mit diesen Social-Media-Programmen ist jedoch, dass ihre Informationen flüchtig sind und von unklaren Algorithmen gefiltert werden. Insofern ist der Vorwurf, SF-Autorinnen würden nicht wahrgenommen, etwas unfair, wenn deren Informationsflüsse ausschließlich dort erfolgen. Ähnlich kritisch sehe ich auch die Besprechung von Werken dort. Judith Vogt forderte mehr Diskussionen über Bücher von SF-Autorinnen auf Twitter. Sie selbst postet hierfür hin und wieder Kettentweets. Die Lesbarkeit dieser Besprechungen ist gering, der Plattform geschuldet wenig umfangreich und vor allem sind diese Tweets nicht nachhaltig. Es ist sehr schwer, sie wiederzufinden und wenn man sie verpasst hat, war es das. In Wikipedia-Einträgen habe ich zum Beispiel noch keine Verlinkung auf solche Tweets gefunden.

Darüber hinaus führt nach meinen Erfahrungen das Bewegen in einer Twitter-Bubble dazu, dass man sich gegenseitig eher Wertschätzung und Begeisterung versichert, als kritisch mit den Werken umzugehen. Gibt es Kritik, wird sie gern unter Ausschluss der Betroffenen abgehandelt. Obwohl Twitter hier mit einem einfachen @ die Möglichkeit liefert, Verlage und Schreibende in die Diskussion einzubeziehen, wird das sogar teilweise als Fehlverhalten gewertet, da man ungefragt Leute »tagt«. Der Weg vom Fettnäpfchen zum Shitstorm ist kurz. Gerade im Kampf um die Sichtbarkeit von Autorinnen lernte ich eine sehr niedrige Erregungsschwelle kennen.

Ich habe im letzten Jahr also nicht nur viel über Kommunikation gelernt, sondern auch tatsächlich einige Werke von SF-Autorinnen gelesen und natürlich auch besprochen. Insgesamt waren es elf, wobei der Erzählungsband »Sphärenklänge« eine Gemeinschaftsarbeit von Angela und Karlheinz Steinmüller darstellt. Das Paar schreibt schon seit Jahrzehnten zusammen. Ich habe die beiden bereits zweimal interviewt und mehrfach im Gespräch erlebt – ihre Werke sind echte Teamarbeit, deshalb lasse ich den Band hier einmal heraus. Auch die SF-Klassiker von Ursula K. Le Guin, Margaret Atwood und James Tiptree Jr. sollen hier nicht betrachtet werden, da deren Sichtbarkeit unzweifelhaft hoch ist.

Bleiben sieben SF-Werke von deutschsprachigen SF-Autorinnen, die allesamt nicht älter als drei Jahre sind.

Durch die Diskussion um die Liste mit SF-Autorinnen in der Wikipedia wurde ich auf Judith Vogt aufmerksam, die über mangelnde Aufmerksamkeit für ihre Space Opera »Roma Nova« berichtete. Der Roman erschien bei Bastei Lübbe und wenn wie hier ein Major-Verlag beim Marketing versagt, ist das symptomatisch für den Buchmarkt. »Roma Nova« ist ein Abenteuerroman und ich kann Judiths Wunsch nach Beachtung nachvollziehen, aber das Buch ist durchschnittliche Unterhaltung. Eine Unterbewertung kann ich nicht ausmachen. Im Gegenteil erhielt das Buch jede Menge Aufmerksamkeit und sogar eine Nominierung.

GRM

Sibylle Berg ist eine scharfzüngige Kolumnistin und verfasste mit »GRM« nicht ihren ersten SF-Roman. Er stand einige Wochen in den Bestseller-Listen und dürfte der erfolgreichste Roman der Liste sein. Es war auch meine erste Bekanntschaft mit der Bergschen Prosa und ich erwarb den Roman recht spontan in einer kleinen Görlitzer Buchhandlung. Zunächst begeisterten mich die Bissigkeit, die sprachliche Experimentierfreude und das technologisch konsequente Weiterdenken unserer Gegenwart. Aber dem Roman fehlte ein runder Abschluss, der letzte Teil zog sich in die Länge und lieferte zu viele inhaltliche Wiederholungen. Es hätte ein Meisterwerk werden können. Aber auf jeden Fall war es 2019 wohl der im deutschsprachigen Raum meistbeachtete SF-Roman. Zu keinem anderen SF-Werk fanden sich mehr Besprechungen im Feuilleton.

Dort erfuhr ich auch von Emma Braslavskys »Die Nach war bleich, die Lichter blinkten«, ging zu ihrer Lesung und las das Buch sofort. Mit den möglichen sozialen Veränderungen, die intelligente Androiden in unserer Gesellschaft bewirken könnten, nimmt der Roman eine bereits oft in der SF beackerte Thematik auf, verbindet das aber mit einer lyrischen Sprache und einer nicht ganz so üblichen Perspektive, was ihn für mich zu guter SF und einem lesenswerten Buch machte. Das Buch tauchte ansonsten nicht in meinen üblichen Kanälen auf. Vermutlich bestand hier auch nicht der Wunsch, als SF-Autorin wahrgenommen zu werden.

Dass ich an der Lektüre eines Romans von Theresa Hannig nicht vorbeikommen würde, stand für mich schon recht früh zu Beginn der Sichtbarkeitsdiskussion statt. Ihr Debüt »Die Optimierer« hatte mich thematisch damals nicht angesprochen. Mit ihm hatte sie den Debüt-Seraph gewonnen – bestimmt ein Optimum an Sichtbarkeit. Ich nutzte die Gelegenheit, sie letztes Jahr bei einer Lesung von SF-Autorinnen in Berlin life zu erleben und kaufte mir dort auch gleich die Fortsetzung »Die Unvollkommenen«. Für mich war es spannend, diverse thematische Parallelen zu Emma Braslavskys »Die Nach war bleich, die Lichter blinkten« zu entdecken. Zwar schreibt Theresa Hannig nicht so lyrisch, aber deshalb nicht minder gut. Das Buch verstärkte meinen Eindruck einer qualitativ hochwertigen Science Fiction von Autorinnen, über die wenn, dann weit außerhalb meiner Wahrnehmung diskutiert wird.

Caroline Hofstätter überließ ihre Sichtbarkeit nicht dem Zufall. Als PR-Expertin versuchte sie ihr SF-Debüt »Das Ewigkeitsprojekt« aktiv vorzustellen, zu bewerben und sich als Autorin bekannt zu machen. Sie meldete sich in beiden SF-Foren zu Wort, besuchte den BuCon, twitterte fleißig und absolvierte sogar eine Lesung in Second Life.

Carolines Avatar während der Second-Life-Lesung

Das Buch startet zunächst klaustrophobisch und ändert dann radikal sein Gesicht. Zwar ebenfalls kaum mit Neuem angereichert, ist der Roman aber sehr lesbar.

Auf der Lesung von SF-Autorinnen mit Theresa Hannig präsentierte auch Sabrina Železný ihr jüngstes Werk. »Feuerschwingen« ist wie »Roma Nova« eine Space Opera, die historische Erdkulturen in einen neuen Kontext stellt. Auch hier ist der Abenteuer-Aspekt zentral, allerdings spielt die Beziehung der beiden Hauptfiguren eine sehr wichtige Rolle und sorgt dafür, dass der Roman eben mehr ist, als eine einfache Space Opera. Das Buch erregte meine Aufmerksamkeit tatsächlich zuerst über Twitter.

Das trifft auch auf Melanie Vogltanz zu, deren »Shape Me« mein SF-Highlight 2019 ist. Die Autorin tauchte in meiner Timeline schon länger auf, zudem konnte man sie bereits auf mehreren BuCons erleben. Der Roman hatte mich insofern überrascht, da ich ihn quasi blind kaufte. Ich wusste, er ist mit SF gelabelt und passte somit in mein inoffizielles Projekt der Lektüre frisch erschienener SF von Autorinnen. Ich habe es schon mehrfach erwähnt, bei diesem Roman passt für mich alles: Stil, Figuren, Science, Politik und Umfang. Diesen Roman hätte ich wahrscheinlich nicht gelesen ohne die Sichtbarkeitsdebatte von Theresa Hannig.

Für mich hat sich das genaue Hinhören und Hinschauen also durchaus gelohnt. Vielleicht helfen auch meine Rezensionen, die Autorinnen und ihre Werke etwas sichtbarer zu machen, vielleicht auch, sie sichtbar bleiben zu lassen. Es ist in erster Linie ein aktiver Part von mir dazu notwendig gewesen, die Bücher zu finden. Ich musste meine Filterblase verlassen oder besser vielleicht, ich musste sie ausweiten. Das könnte mir auch dieses Jahr Hinweise auf interessante Bücher von SF-Autorinnen bescheren, ich bin gespannt, ob sich die so positiven Erfahrungen des vergangenen Jahres wiederholen lassen.


16 Kommentare

  1. Columbus sagt:

    Du hast das wesentliche Problem der Sichtbarkeit auf den Punkt gebracht: Autoren, Leser und Rezensenten müssen sich in denselben Räumen aufhalten. Seitdem ich mich intensiver mit der SF-Szene befasse, weiß ich, dass es in ihr viele, viele kleine Räume gibt, in die man/frau als Leser/in nicht ständig reinschauen kann oder auch möchte, und wenn man/frau nicht aufrafft, verpasst man/frau sehr viel. Inzwischen verblüfft mich jedenfalls nicht mehr, wenn Leute, die schon lange SF lesen und zu Cons gehen, noch nie von Autorinnen und Autoren gehört oder etwas gelesen haben, die schon lange SF schreiben und zu Cons kommen.

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  2. Also, dass bei dir – und auch bei mir – zuvorderst Männerautoren im Bücherregal landen, überrascht mich keineswegs. Auch in meiner recht umfangreichen CD-Sammlung muss man Frauennamen mitunter mit der Lupe suchen. Wird ja gesellschaftlich gerne ein Problem draus gestrickt, ich sehe das aber als völlig normal an. Für mich erfolgt die größtmögliche Identifizierung mit anderen Menschen – weit vor Hautfarbe, Nationalität oder Sexualität – über das Geschlecht. Wenn ich was lernen will über mich, wo ich mich verbessern, wie in komplexen Situationen umgehen kann, woran ich scheiter und was ich einfordern darf – all das kann (auf Literaturebene!) ein Mann mir immer besser einflüstern als eine Frau.
    Es ist wie du sagst: ich muss es mir regelrecht vornehmen Autorinnen einzustreuen, so ab und an. Mache ich auch, ist aber eben immer, tja, wie ein Auftragslesen. Weil weibliche Perspektiven wichtig sind. Da ich die aber niemals komplett nachvollziehen werde können (was auch nur normal ist), kann ich nur versuchen sie zu verstehen, mich ihnen regelmäßig zu widmen.
    Klar geht einem dadurch gewiss manches Schmuckstück durch die Lappen., das geschieht aber so oder so.
    „GRM“ habe ich gelesen. Und habe festgestellt: Frau Berg hat ein Männerbild, das sich fundamental von meinem unterscheidet. Wenig überraschend. Ich habe es also zur Kenntnis genommen, mir gemerkt, dass Frau Berg in einer sehr anderen Welt lebt als ich (und auch als die meisten Frauen die ich kenne). Und ihre ansonsten sehr treffsichere dystopische Erzählung nicht zuletzt dadurch sehr breiig gerät.
    Aber interessant: das soll SF sein? Hätte ich ums Verrecken nicht dort eingeordnet, auch wenn eine Dystopie per se eine Zukünftigkeit behandelt. Man lernt nie aus.
    Viele Grüße!

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  3. M.Rath sagt:

    Drei Beobachtungen:
    Vorhin habe ich mir einmal die Sponsor:innenliste des Startnext-Projekts zur Rettung des Science-Fiction-Jahrbuchs mit Blick auf die mutmaßlichen sozialen und biologischen Geschlechter angeschaut, müde mit den Schultern gezuckt und „ach so“ gedacht – und mir vorgenommen, mir zum Ausgleich ein Glas Kirschen zu besorgen.
    Zu den Werken, die eine queere Perspektive nicht programmatisch verkaufen, sondern einigermaßen sublimieren, gefiel mir jüngst Seannan Mcguires „Der Atem einer anderen Welt“ recht gut. Leistet für meinen Geschmack mehr als viele Listenerbsenzählereien zur Vermittlung von „soft eyes“, wird aber – wenn mich der Eindruck nicht täuscht – trotz seiner bildhaften Zugänglichkeit der Perspektive von Figuren, die Empathie und Akzeptanz verlangen, nicht mit Sichtbarkeitslabeln abgefeiert. Ich fühle mich inzwischen eher darin bestätigt, dass es auf die Kunst, nicht die Sichtbarmachungsprogrammatik ankommt.
    Mir ist jeder der Titel die oben aufgeführt werden, außerhalb von Sichtbarkeitsfördermaßnahmen mit Gendervorzeichen begegnet. Die inzidente Unterstellung, ich sei als Leser so vernagelt, ohne Maßnahme kein Interesse an den Titeln unter dem künstlerischen Aspekt zu finden, stößt mich zwar in der Regel nicht ab, ödet mich aber an.

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    • lapismont sagt:

      Das wäre schon ein Forschungsprojekt herauszufinden, wie Buch und Leserschaft zueinanderfinden und wie das mit der Geschlechterverteilung wirklich ist. Ich kann ja hier nur von mir ausgehen und will niemanden dafür schelten, sich damit nicht zu befassen.

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  4. Schnute sagt:

    Sehr guter Artikel, lieber Ralf.

    Interessant in diesem Zusammenhang ist für mich der direkte Vergleich zu deutschen männlichen SF-Autore. Wo und wie werden deren Bücher beworben? Wie findet man sie? Wie kommt es, dass sie sichtbarer sind? Ist ihre Sichtbarkeit größer? Das sind Fragen, auf die ich bisher nur passive und theoretische Antworten gefunden habe. Vielleicht sollte ich dazu mal einen Gegenversuch starten. Mein eigenes und ergo subjektives Empfinden dazu ist, dass im allgemeinen Buchhandel grundsätzlich mehr Werke männlicher Autoren offen angeboten werden, was natürlich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass interessierte Leser zu diesen Werken greifen. Das ist aber nur meine eigene Ansicht dazu, wirklich belegen kann ich es nicht.

    Allerdings gibt es ja nach wie vor Verlagsvorschauen und das letzte Mal, als ich aktiv Autor und Autorin gezählt habe in diesen Vorschauen zeigte mir, dass Autoren hier öfters auftauchen als Autorinnen. Interessant in diesem Kontext ist dann die Frage, welche Autoren und Autorinnen in diesen Verlagen zeitgleich noch publiziert wurden, aber es nicht in die Verlagsvorschau geschafft haben. Ich glaube, das werde ich mal aktiv verfolgen gehen. Danke für diesen Denkanstoß 🙂

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  5. exophyt sagt:

    Sehr schöner Bericht!
    Und dazu auch noch spannende Kommentare.
    Kann es an der Intensität des Outputs liegen? Zahlreiche Herren sind ja Vielschreiber und somit auch Vierlveröffentlicher. Die schwimmen also stetig auf dem Kamm der Welle, lassen sich besser vermarkten, sind stetig präsent, während Wenigschreiber (männlich / weiblich) sich erst nach oben arbeiten müssen. Beziehungsweise schnell wieder abtauchen.

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  6. […] Rückblick auf 2019 und vor allem auf das Thema Frauen in der SF, wagte Lapismont vom Fantasyguide auf seinem Blog. Ein interessanter Beitrag und ich denke, gerade den Punkt, dass sich SF-Autorinnen und -Lesende im […]

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