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Familie is knorke

Ein milder Februarabend lud am Samstag zu fröhlicher Familienunterhaltung ein. Was könnte dafür besser geeignet sein, als mit Freunden und Nachwuchs zu einer Knorkator-Sause in die Columbiahalle einzukehren?

Knorkator begleiten uns nun schon seit Jahrzehnten und tatsächlich erschien auch gerade das zehnte Studio-Album der Köpenicker Lokalkapelle. Spätestens nach dem dritten Hören hatten sich etliche der Songs im Hirn festgekrallt und da sie meist mitgröhlfreundlich geschnitten sind, fällt es nicht schwer, über das Event hinweg heiser zu werden.

Wir erschienen pünktlich wie die Zauberer

Vor Beginn des Konzertes wurden auf einer Video-Leinwand diverse Songeinlagen der Muppet Show gezeigt, was sich zu einem grandiosen Finale steigerte: Muppets und Publikum schwelgten in der Bohemian Rhapsody von Queen, ein mittlerweile weltweit von Bands praktizierter Aufwärmmechanismus, nur meist ohne Muppets.

Sodann erklommen The Hirsch Effekt aus dem fernen Hanover die Bühne und Lautsprecher und bliesen zum gutturalen Hallihallo.

The Hirsch Effekt

Knorkator dann präsentierten sich in wilder Spiellaune und ich bin starr vor Ehrfurcht, dass Stumpen am zweiten Abend hintereinander auf der Bühne herumtollt, als gäbe es kein Alter.

Da brennta wieda: Stumpen

Aber er konnte sich zumindest gesangstechnisch immer wieder ausruhen, da seine krass groß gewordene Tochter Agnetha mit irrer Stimme etliche Parts übernahm und etwa Nach Unten allein bestritt. Sie saß zudem die meiste Zeit auf der Bühne und spielte die Gelangweilte, sang aber bei sehr vielen Songs mit.

Stumpen und Agnetha

Auch Alfs Nachkomme Tim Tom durfte mitwirken, zunächst als Besenschwinger und dann bewies er, dass er diverse Stimmlagen in Deathmetalsound beherrscht und auch Böse ist.

Vorne Tim Tom, hinten Buzz Dee

Knorkator sind eben eine Familienband für die gesamte Familie. Es kamen natürlich jede Menge Hits, aber auch ein schöner Querschnitt aus dem neuen Album. Wer zu Knorkator geht, bekommt ein fröhliches Durchpusten von Hirn und Ohren, sowie wunde Füße.

Die Kapelle. Aus Köpenick!

Außer Stumpen natürlich.

Die Summe aller Trainingsdaten ist der Mensch

Auch das Otherland startet wieder so richtig durch, das Programm der nächsten Monate ist angefüllt mit Lesungen und Events.

Zum Start des Nach-Corona-Lebens hatte sich Otherlander Wolfgang Tress eine bunte Truppe an SF-Schaffenden in seinem Laden gewünscht, die ihn im letzten Jahr mit ihren Werken begeisterten.

Wolfgang Tress, Claudia Rapp und Nils Westerboer

Wolf ist nicht nur ein engagierter Buchhändler, sondern auch ein inspirierender Leser, der mit seiner Lektüre immer wieder phantastische Werke findet, die er dann mit Verve empfehlen kann und so artete seine Vorstellungsrunde zu einer ganz besonderen Lobrede auf die Anwesenden aus, was man ihm natürlich gern verzeiht.

Aber letztlich war das bei dem Programm auch kein Wunder: Nils Westerboer schuf mit Athos 2643 mein SF-Highlight des Jahres 2022. Aiki Mira schreibt begnadete Kurzgeschichten und erregte mit den beiden in 2022 erschienen Romanen großes Aufsehen in der Szene. Jens Lubbadeh präsentierte nun schon den vierten SF-Roman im Otherland und Theresa Hannig entwarf mit Pantopia zur Abwechslung mal eine funktionierende Utopie.

Also ein erstklassiges Grüppchen ganz unterschiedlicher Spielarten der SF und weil auch im Publikum jede Menge Verleger·innen, Autor·innen und Künstler·innen vertreten waren, entwickelte sich über zwei Stunden hinweg eine angeregte Diskussion zu den Themen der Bücher. Natürlich spielten KIs eine große Rolle, aber auch der Stellenwert der SF innerhalb der Branche.

Es herrschte eine tolle Atmosphäre und ich spürte wieder, wie schön es ist, bei so einem intensiven Gedankenaustausch dabei sein zu können. Nach Corona- und Winterblues belebt das ungemein.

Claudia Rapp, Nils Westerboer, Aiki Mira, Jens Lubbadeh und Theresa Hannig während der Diskussion

Jens Lubbadeh kannte ich noch gar nicht, irgendwie hatte ich ihn mit einem anderen Autoren verwechselt, der eher blutrünstige Fantasy schreibt und darum hatte ich seine Otherland-Termine bisher gemieden. Aber der Wissenschaftsjournalist imponierte mir und so ließ ich mir von ihm hinterher eines seiner Bücher empfehlen, da mich thematisch sein jüngster Roman Der Klon nicht so interessierte. Nun hab ich den Vorgänger Transfusion auf dem SUB, den der Autor lustigerweise als sein blutigstes Werk bezeichnete.

Amüsant fand ich auch Theresas Kommentar zu ihrer schöpferischen Zukunft, die dystopischer wird, denn sie hab ja nun ihre Utopie bereits geschrieben. Und im übrigens gab es selbst beim Schreiben von Pantopia den Moment, da sie auch alles gegen eine dystopische Wand hätte fahren lassen können.

Solche wunderbaren Abende braucht es eigentlich viel öfter und nicht nur das Otherland plant da groß, nur noch zwei Monate und dann findet der Metropol Con in Berlin statt – Claudia Rapp konnte gestern auch wieder dafür werben und so langsam steigt die Spannung, wie dieses Mega-Event werden wird.

Schneegepeitscht ins Geflecht

Das Jahr 2022 ist für die deutschsprachige Science-Fiction so fruchtbar wie keines, das ich im Blick habe. So viele gute und empfehlenswerte Romane sind erschienen, die zudem eine große Bandbreite an Themen, Stilen und Vorstellungsarten umfassen, dass es eine wahre Wonne ist, in diesem Jahrgang herumzulesen. Da nächste Woche die Nominierungsfrist für den Kurd Laßwitz Preis endet, bin ich grad etwas beschäftigt, zumindest einiges davon zu lesen, um nominieren zu können. Definitiv werde ich dann noch für die Abstimmungsrunde einiges lesen, nicht müssen, sondern wollen!

Aber zumindest Das Geflecht von Jol Rosenberg schaffe ich noch vorher, bin ich doch bereits 150 Seiten vor dem Ende und das Buch ist ein Pageturner, also easy.

Das Geflecht von Jol Rosenberg, Cover: Ingrid Pointecker

Ich freute mich riesig, als Jol auf dem BuCon erzählte, es würde im Januar in Berlin eine Lesung stattfinden und so stapfte ich gestern Abend im Schneeregen zur Brotfabrik, in der ich seit den 90ern nicht mehr war. Im Obergeschoss der Galerie fand ich sich ein kleines Räumchen mit etwa 30 Stühlen, die nicht einmal ausreichten, so groß war der Andrang. Später musste dann sogar die Abendkasse geschlossen werden. Hat man auch nicht oft.

Neben mir nahm übrigens Amandara Platz, die mir auch gleich über ihre nächsten Lesungen und ihre Zukunft als Programmleiterin beim acabus Verlag berichtete.

Der Eingang zur Galerie der Brotfabrik

Die Verlegerin Ingrid Pointecker war extra aus Wien angereist und machte sich des Nachts auch wieder auf die Heimreise.

Ingrid Pointecker

Jol trat im bekannten Anzug mit Hut und Fliege auf und am Nachbartisch performte die Künstlerin Princess Ming mit ihrer Stimme und etwas Technik zwischen den einzelnen Textpassagen Jols, was definitiv eine kongeniale Kooperation darstellte. Leider funktionierte der Live-Stream nicht, aber das störte uns Anwesende natürlich in keinster Weise.

Jol während der Lesung

Jol las zwei längere Kapitel um Danyla und Pako, lustigerweise war der zweite Text direkt mein Stand vor der Lesung. Den hatte ich auch schon in einer anderen Lesung gehört, nun wusste ich aber wesentlich mehr über die Handlung.

Princess Ming verwendete sogar Jols Stimme in ihrer Performance

In Das Geflecht geht es um den Planeten Rusal. Terranische Kolonisten betreiben auf ihm Bergwerke um Bodenschätze abzubauen. Einer von ihnen ist der Ingenieur Pako, der nach einem Vorfall seinen Job verliert und sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält, bis ihm ein seltsames Unternehmen anstellt. Bald steigt er im Unternehmen auf, muss dafür aber einen hohen Preis bezahlen. Bald stürzt er in einem Dschungelgebiet ab und wird von der einheimischen Surai-Jägerin Danyla angeschossen, weil der Terraner kein Teil des Geflechts ist, wie die Bewohner Rusals ihre Verbindung zu allem hier nennen. Diese Verletzung verpflichtet Danyla nach den Regeln ihres Volkes, sich um Pako zu kümmern. Diverse Dinge nehmen ihren Lauf …

Jol beantwortet Fragen zum Buch

Wie in der Fragerunde herauskam, schreibt Jol tatsächlich an einer Fortsetzung, die aber nicht Jols nächste Romanveröffentlichung sein wird. Je nach Papier- und Verlagskapazitäten könnte im Herbst bei Plan9 ein neuer Zweiteiler starten. Ich fänd das prima.

Im Anschluss konnte ich mit Frank Böhmert in der Brotfabrik-Kneipe den Abend stilvoll ausklingen lassen. Was für ein schöner Lesungsauftakt 2023!

Das Set nach dem Text zum Bild

Während der Lockdowns kamen Online-Lesungen groß in Mode und aus irgendwelchen Gründen hatte ich gerade dann überhaupt keine Lust mehr darauf, obwohl ich seit vielen Jahren großer Fan der Online-Lesungen in Second Life bin, die zumeist von Thorsten Küper aka Küperpunk organisiert wurden.

Und nun, da sich die Pandemie ihrer endemischen Phase zu nähern scheint, kommt auch bei mir langsam das Gefühl zurück, virtuelle Lesungen zu brauchen. Deshalb war ich ganz froh, dass gestern ein Lesungsevent zur Anthologie »Am Anfang war das Bild« stattfand.

Mein Avatar vor einigen Bildern des Bandes

In den vergangenen Wochen hatte ich mich an einem Lesezirkel zum Buch im SFN beteiligt, kannte daher alle Texte und Bilder und freute mich sehr, einige der Autor·innen ein weiteres Mal live, nach dem Auftritt in einer Talkien-Folge, zu erleben.

Die Avatare von Heidrun Jänchen, Küperpunk und Aiki Mira vor dem Plakat von Uli Bendick

Die Antho enthält SF-Geschichten, die von Grafiken der Künstler Uli Bendick und Mario Franke inspiriert wurden. Die Mitmachenden konnten sich in einer Bildersammlung Grafiken auswählen, auf deren Grundlage sie ihrer Fantasie freien Lauf für Storys ließen. Hinterher nutzten die beiden Grafiker dann die so entstandenen Texte, um weitere Bilder passend dazu zu kreieren.

Das Plakat von Mario Franke

Das alles nahm nun Barlok Barbosa, um daraus die Bühnenbilder der Lesungen in SL zu gestalten und natürlich gelang ihm das wieder ganz großartig! Es ist eben doch etwas anderes, in diesen Sets während der Lesungen herumzulaufen, als das ganze dann später in Youtube zu betrachten, obwohl der Küperpunk hier viel Arbeit reinsteckt und es sich wirklich lohnt, die Videos anzugucken.

Wir trafen uns zunächst in der Galerie und Mitherausgeberin Aiki Mira besprach mit dem Küperpunk einige der Bilder von Uli Bendick und Mario Franke. Mario, der im Discord zugegen war, kommentierte das Ganze aus seiner Sicht. Hier in der Galerie fand dann im Anschluss an die Lesungen auch ein Konzert von Psiquence statt, der schön öfter mit seiner elektronischen Musik Lesungsevents atmosphärisch ausklingen ließ.

Der Küperpunk und Aiki im Set zu »Unser stilles Dorf«

Isabell Hemmrich begann den Lesungsteil mit »Unser stilles Dorf«, dessen Stil und Poetik mir beim Lesen sehr gefielen.

Heidrun im Set zu »Stille Post«

Ihr folgte Heidrun Jänchen, die ihre Geschichte »Stille Post« zunächst für die Klimawandel-Antho, ebenfalls bei Hirnkost erschienen, begann, aber dann liegen ließ, weil sie nicht so recht rund wurde. Aber ihr machen Figuren in der Schublade Gewissensbisse und als sie dann das Schmetterlingsbild im Katalog zur Antho sah, fiel ihr die angefangene Story wieder ein. Zeit, daraus eine ungewöhnliche Geschichte zu machen, die sich über mehrere Zeitsprünge hinweg erstreckt.

Aiki und Barlok im Set zu »Utopie27«

Aiki Miras »Utopie27« bildete den Abschluss des Buches und faszinierte durch ein stark beschriebenes Cyberpunksetting und einer sehr emotional anrührenden Lebensgeschichte.

Im Set zu »Das Licht«

Uwe Neuholds Story »Das Licht« hingegen fand ich im Buch eher nicht so gelungen, aber in der Lesung konnte er ihr neue Töne abringen.

Im Set zu »Onkel Nolte oder die hohe Kunst, aus dem Fenster zu schauen«

»Onkel Nolte oder die hohe Kunst, aus dem Fenster zu schauen« von Janika Rehak ist eine bezaubernde Liebesgeschichte, die mich schon im Buch sehr bewegte und in dem tollen Set von Barlok so richtig zum Funkeln kam.

Psiquence ließ den Abend ausklingen

Wie hier die Verbindung ganz unterschiedlicher Medien Kunst weiterschreibt, begeisterte mich den gesamten Abend über. Vom Bild zum Text zum 3D-Kunstwerk.

Grüße aus der Gruft der Zukunft

In den Neunzigern versuchte ich mit Hilfe der Amerika Gedenkbibliothek meinen Rückstand an westlicher Science-Fiction aufzuholen. Später dann kaufte ich jene Werke, die auf Listen der wichtigsten SF-Werke auftauchten und noch heute stehen davon etliche ungelesen im Regal. Die Menge ist einfach riesig, es erscheinen ständig neue Bücher und ich will ja nicht nur Science-Fiction lesen.

Aber ich bekam zumindest einen gewissen Überblick, konnte Namen zuordnen und wusste um prägende Titel.

Als ich nun Die Weltenschöpfer Band 1 von Charles Platt direkt vom Verleger Hardy Kettlitz erwarb, stöberte ich bereits auf der Heimfahrt in den ersten beiden der kommentierten Gespräche. Von Isaac Asimov habe ich einiges gelesen, Thomas M. Disch sagte mir nur vom Namen her etwas.

Aber die Art und Weise, wie Platt seine Interviews aus den 70ern begleitete und mit brandaktuellen Nachträgen versorgte, reizte mich. Platt selbst kannte ich überhaupt nicht und so stellte er sich mir als sehr streitbaren, zuweilen arrogant erscheinenden Autor vor, der zwar die bedeutendsten Personen der Szene traf, aber nicht als Fan mit ihnen sprach, sondern als Insider und meist auf Augenhöhe.

DIe Weltenschöpfer Band 1 von Charles Platt; Cover von S. Beneš

Die Portraits sind sehr launisch und geprägt von teilweise zynischen Beobachtungen zu den Wohnungen und Häusern der Besuchten. Was für mich besonders spannend war, da ich ja auch einige solcher Interviews in privatem Umfeld durchführte und mich selbst dabei eher als scheu und eingeschüchtert erlebte. Ein Unwohlsein, das zu einer immer größeren Schwelle im Lauf der Zeit wurde.

Platt erlebte das eher selten. Zwar sind seine Begegnungen, etwa mit Philip K. Dick, sehr strange, aber meist stellte er sie im Rückblick als professionelles Journallistenhandwerk dar, wenn nicht sogar gleich als Treff von Freunden.

Darunter dann auch zerbrechende Freundschaften wie die mit Harlan Ellison.

Von den 18 Autoren kannte ich nur sieben durch ihre Werke, vier Namen sagten mir sogar komplett gar nichts. Und spannend wurde es für mich meist dann, wenn mir die Autoren durch ihre Werke besonders sympathisch waren, wie Samuel R. Delany, Kurt Vonnegut Jr. und Philip José Farmer, aber natürlich bleiben die Zankereien und Seltsamkeiten länger im Gedächtnis haften.

Ich freue mich jetzt schon auf die beiden anderen Bände, darunter in Band 3 dann auch endlich als Autorin Joanna Russ.

Über Stock und Holm

Ich hatte mir dieses Jahr vorgenommen, ein wenig in den Programmen der Kleinverlage zu stöbern und Bücher zu probieren, die nicht primär zu meinen Lesevorlieben passen. Außerdem erliege ich ganz leicht Buchverführungen und so konnte ich einen Superdeal für die Valkyrie-Trilogie von Tina Skupin aus dem ohneohren Verlag nicht ignorieren.

So erwarb ich die drei Bücher im einheitlichen Design samt Gimmicks, wie einer Walkürebadeente, und hab den ersten Band im Sommer gelesen.

Frida für die Badewanne

»Zurück ins Jetzt« ist der Bericht der Walküre Frida, die im Auftrag Odins einen etwas peinlichen Fehler begeht und plötzlich im Stockholm unserer Tage wieder zu sich kommt. Asgard gilt als verschollen, die Norsen leben mehr oder weniger versteckt unter den Menschen und wollen keine Aufmerksamkeit erregen. Was Frida nun aber überhaupt nicht in die Wiege gelegt wurde.

»Zurück ins Jetzt« von Tina Skupin

Frida ist eine lustige Gesellin, der ich gern durch ihre Irrungen und Wirrungen folgte, wenn es auch recht bald klar wurde, dass ich hier eine typische Mary-Sue-Geschichte in den Händen hielt.

Aber wer will nicht mal als unbesiegbare Walküre mit einem Spraben für Die Freie Presse eintreten, mit Loki ein Tricktänzchen aufführen oder eine Prinzessin befreien, die Kirschblüte heißt und in einem Zuckerschloss wohnt? Ja, gerade letzteres kommt der Sache schon recht nahe.

Auf jeden Fall habe ich riesige Lust bekommen, nach Stockholm zu fahren, mir die Stadt mit strengem Norsen-Blick anzuschauen und nach veredeltem Glöck zu rufen.

Tina Skupin auf der buch Berlin 2019

Bestimmt werde ich sogar in die Folgebände reinschnuppern und vielleicht ist die Autorin mit Hut ja wieder mal live zu erleben, sodass ich mir die Bände signieren lassen kann.

Gut gedruckt ist halb zerfetzt

Den jüngsten SF-Roman der Orgel-Brüder habe ich in seinem Erscheinungsjahr gelesen und das ist schon erstaunlich. Aber sie warben auf eine so nette Art für »Behemoth«, dass ich nicht widerstehen konnte.

Im Zentrum steht die Betrachtung zweier Generationenraumschiffe mit unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft, eines eher chinesisch geprägt, das andere stalinistisch, beide totalitär, und ihr Umgang mit dem zunehmenden Verfall der Schiffe und damit der Ordnung.

»Behemoth« von T.S. Orgel,

Die Inszenierung gefiel mir, wenn sie auch sehr auf Bekanntem aufbaut. Die beiden Systeme überraschen weder in den finsteren Dingen, als auch in den liebevollen Überlebensgeschichten.

Das dritte Schiff wird nicht näher betrachtet, es ist eher der Gute-Westen-Typ und von daher für die Orgels vielleicht zu langweilig oder der Platz bzw. die Zeit reichten nicht mehr.

Das spürt man dann im Finale, wenn eine entscheidende Volte dadurch einfach kalt serviert wird und man sich fragt, warum das »Aas« nun so handelt. Da fehlte mir dann doch jede Menge Exposition und Motivation. Überhaupt ist das Finale etwas zu viel Harry-Kim.

Das Cover ist leider wieder sowas Generisches und hat nur den Hauch eines Bezuges zum Roman, aber zumindest Weltraum und Objekte.

Nichtsdestotrotz hat mir die muntere SF-Abenteuergeschichte sehr gefallen, ich mochte eine Menge der Figuren und hätte mit einigen von ihnen gern noch mehr Zeit verbracht.

Cyril und die Liebe

Auf dem Schreibtisch stapeln sich die unbesprochenen Bücher, ich muss da endlich ran, also weiter mit dem Klassikerlesezirkelbuch Oktober: »Die Farben der Zeit« von Connie Willis.

Das Buch hatte ich mir mal antiquarisch besorgt, weil es irgendwo empfohlen wurde und wie das oft so ist, landete es im Bücherregal, oft mich stumm anklagend und auf bessere Tage wartend.

Die Farben der Zeit von Connie Willis; Cover: Rick Berry

Glück für den Wälzer, dass der Lesezirkelvorschlag kam und ich mitmachte. Und schon lange hat mich kein Buch mehr so zum Schmunzeln und Grinsen gebracht, wie »To Say Nothing Of The Doc Or How We Found The Bishop’s Bird Stump Tt Last«.

Es dauerte ein paar Seiten, bis mir bewusst wurde, dass es sich hier um ein lustiges Buch handelte, denn Zeitreisende, die in der Ruine einer von Deutschen im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kathedrale nach etwas suchen, lässt mich nicht automatisch in eine fröhliche Stimmung wechseln. Doch als der Penny fiel und ich mich in einen Monty-Python-Sketch versetzt fühlte, begann ich mich zu entspannen und die wilde Fahrt zu genießen.

In irgendeiner Zukunft des Jahres 2057 soll die zerstörte Kathedrale wieder aufgebaut werden und die sehr rigorose Lady Schrapnell, die hinter dem Projekt steht, hat fast die gesamte Historikertruppe Oxfords durch die Zeit gesendet, um des »Bischofs Vogeltränke« aufzuspüren, das letzte Detail, das zur feierlichen Neueröffnung noch fehlt.

Unsere Hauptfigur Ned hat schon ein paar Sprünge zu oft hinter sich und soll daher ins friedliche viktorianische Zeitalter reisen und sich von der Zeitkrankheit erholen. Gleichzeitig überträgt man ihm da noch diese kleine Aufgabe, doch durch das Chaos im Zeitinstitut und aufgrund seiner Verwirrtheit durch zu viele Sprünge, bekommt er nur die Hälfte mit. So schließt er sich nach seiner Ankunft im Jahre 1888 einem jungen Studenten an, der mit seinem Hund Cyril die Themse hinunterfahren will, ein Mädchen zu treffen, in das er sich Hals über Kopf verliebte.

Es entwickelt sich eine köstliche Parodie auf Zeit und Menschen, wir werden Zeugen einer süßen Liebesgeschichte und für mich als frischgebackenem Hundebesitzer gab es herrliche Charakterstudien verschiedener Haustiere.

Ein glücklichmachendes Buch. Ein Buch, dessen Lektüre eine ungemeinen Spaß bereitete und auch noch etwas Neues zum Thema Zeitreise-SF beitragen konnte.

Gute-Laune-Science-Fiction, die zu Recht den »Hugo« gewann oder wie wir heute jern janz modern sagen: Solarpunk.

Die Artifiziellisierung der Kritik im dystopischen Krieg der Hyperironie

Das Programm des Literarischen Colloquiums Berlin scanne ich regelmäßig nach Veranstaltungen mit interessanten Themen sowie Büchern und Menschen, die mich faszinieren. So fiel mir im Novemberprogramm der Name Charlotte Krafft auf.

Schuld an meinem Interesse an dieser Autorin ist Anja Kümmel, die im Tagesspiegel eine euphorische Besprechung des Erzählungsbandes »Die Palmen am Strand von Acapulco, sie nicken – Eine endlose Geschichte über den Tod in einer fremden Welt« veröffentlichte. Den Band besorgte ich mir über das Otherland und obwohl die Lektüre eine Weile dauerte, war ich hinterher auch begeistert. Es stellt für mich immer noch den besten SF-Erzählungsband 2020 dar und auch wenn meine Nominierung für den KLP versandete, werd’ ich das weiterhin verbreiten. Ich habe auch immer noch die feste Absicht, das Buch zu besprechen, aber so einfach ist das bei den sperrigen Texten nicht.

Wie auch immer, die Geschichten sind toll, abwechslungsreich und sehr literarisch geschrieben und machten mich sehr neugierig auf Charlotte Krafft.

Die jetzt an der Gesprächsrunde Stimmen der Kritik #4 teilnahm zusammen mit Joshua Groß und Rudi Nuss. Ein Projekt der germanistischen Fakultät der FU von Jutta Müller-Tamm, die auch den Abend eröffnete.


Jutta Müller-Tamm

Zunächst las Simon Schleusener eine wissenschaftliche Arbeit zur Einordnung des Themas Kritik in das Schaffen der Diskutierenden. Im Wesentlichen fanden sich ihre Namen in einem Buch, das das Wort Kritik im Titel trug, so mein Eindruck, aber ich erfuhr hier dass auch die beiden anderen Teilnehmer Science-Fiction schrieben!

Simon Schleusener

Quasi ein Volltreffer.

Joshua Groß, Charlotte Krafft und Rudi Nuss

Der Abend war ja an sich schon ungewöhnlich. Mein bester Freund liebt es, von mir zu Kulturveranstaltungen mitgenommen zu werden und so entschied er recht spontan, dass diese Veranstaltung cool klänge. Ich besorgte erstmals personalisierte Online-Tickets für das LCB – normalerweise gibt’s da immer solche grauen Papierschnipsel aus dem Schreibwarenladen. Aber vielleicht auch durch Corona ist die Webseite des LCBs deutlich moderner geworden. Es fand ja auch eine Zeit alles nur online statt.

Dann galt natürlich 2G und tatsächlich war der Eintritt auch noch frei, da alles durch die Uni gestemmt wurde. Und während ich normalerweise im LCB zu den Jüngsten des Publikums zählte, stellten wir beide dieses Mal die Alterspräsidenten, was meinen Freund zu dem Hinweis veranlasste, dass uns das in Zukunft öfter so gehen wird.

Nunja, er hatte wohl zu viel November. Jedenfalls sah es stark nach studentischer Basis aus und leider war die Veranstaltung nicht so gut besucht. Aber an einem Novembermontag im tiefsten Westen der Stadt sollte man auch nicht zu viel erwarten. Übrigens erkannte ich dann später auch tatsächlich Anja Kümmel unter den Gästen.

Joshua Groß

Das Thema war zwar Kritik, aber das fand sich dann eher am Rande. Nach dem germanistischen Essay las Joshua Groß eine Kurzgeschichte, in der es um einen Aufenthalt in Porto ging, der durch die ständige Nennung des chilenischen Comickünstlers und Regisseurs Alejandro Jodorowsky bestimmt wurde. Joshua Groß veröffentliche letztes Jahr den SF-Roman »Flexen in Miami«, der völlig an mir vorbeiging, den ich aber nun wohl bald bestellen werde und durch den Titel an Juan S. Guses Miami Punk erinnerte – und an einen anderen außergewöhnlichen SF-Abend im LCB.

Auf den Punkt

Joshua Groß dominierte nachher auch den Diskussionsteil und sprach mit dem Germanisten auf Augenhöhe. Wichtig erschien mir sein Hinweis, dass die Klassifizierung eines Buches meist nach einem Gesamteindruck erfolgt, obwohl eventuell Teile davon ganz anders sind. Ihm gefiel das nicht.

Charlotte Krafft

Charlotte Krafft las ihren Essay »PRAISE BOB« vor, in dem es um Fehler ging und dessen Teiltitel »Lob der Unsicherheit« lautete. Die Seiten klemmten in einem jener alten graumelierten Klemmhefter, dessen Einband man einmal ganz herumdrücken muss, um Seiten einklemmen zu können und in denen auch meine ersten Texte heute noch stecken.

Der Text um Poof, Pow, Wow und Why war teilweise witzig, teilweise ernst und sehr gern würde ich jetzt auch Texte ihres Erzählbandes von ihr vorgelesen bekommen. Sie signierte mir mein Exemplar hinterher und malte mit einem weißen Stift eine Palme hinein. Großartig, bezaubernd und cool!

Dieser Autorin werde ich durch ihre Texte folgen. Bin sehr gespannt, was sie noch so veröffentlicht. Sie verteidigte in der Diskussion die SF als innovatives Medium und ihr Hinweis auf Ursula K. Le Guin bescherte meinem Freund den nächste Lesetipp, nachdem ich ihn im letzten Monat mit Connie Willis »Farben der Zeit« versorgt hatte.

Das Ende der Hyperironie im Blick

Sie wurde dann auch noch zum Thema Hyperironie befragt, wohl ein Begriff, den sie mal irgendwo in einem anderen Essay definierte, heute aber nicht mehr ganz so zwingend findet, es sei denn, sie liest ihr Essay; was schon ziemlich lustig war.

Rudi Nuss

Rudi Nuss stellte uns sein Romanprojekt »Die Realität kommt« vor. Die stakkatoartig vorgetragenen Szenen klangen für mich nach typischer Schrottplatz-Dystopie. Hatte durch den Vortrag einen gewissen Reiz, inhaltlich eher nicht. Aber der Autor arbeitet sich da an für ihn wichtigen Themen ab, geht das sehr poetisch an und vielleicht trägt diese Stimmung ja den Roman, der nächstes Jahr erscheinen wird.

Die Zukunft der Science-Fiction: »Die Realität kommt«

In der Diskussion ging es eher um die Rolle der SF, Möglichkeiten der Rap-Sprache und irgendwann entschied ich, zu Hause das Wort »artifiziell« nachzuschlagen, da es so häufig vorkam, ohne dass sich mir der Sinn direkt aus dem Kontext erschloss. Es bedeutet künstlich. Tja, hätte ich mir aus dem Englischen herleiten können, AI – ich alter SF-Banause – aber so recht fällt mir kein Grund ein, »künstlich« auszutauschen.

Das Fazit des Abends fällte mein Freund: Kluges von klugen Menschen zu hören, ist immer ein Gewinn. Und kommt nicht so oft vor.

Außer man geht ab und zu ins LCB.

Luftig locker und maskiert

Die Buch Berlin 2021 in der Arena Treptow

Am Wochenende fand endlich wieder die Berliner Buchmesse Buch Berlin statt und nach all der monatelangen Vorfreude und dem Bangen, ob sie stattfinden darf, hatte ich vorab doch ein mulmiges Gefühl, zu einer Massenveranstaltung zu gehen.

Doch irgendwie musste ich einfach hin und das Risiko erschien mir dann doch akzeptabel, nach ein paar Argumenten eines Freundes, den ich dann leider um ein paar Augenblicke verpasste.

Um ein wenig den Massenandrang zu umgehen, war ich recht früh da. Erneut gab’s am Eingang für Online-Tickets lange Schlangen, während die Tageskasse leer stand. Es galt »Genesen und Geimpft« als Einlassregel, meine Handy-App funktionierte und so stand ich auch schon in der Halle. Die Arena ist sehr geräumig, die Standreihen lagen weit auseinander und es herrschte sichtbar wenig Betrieb.

Nadine Muriel mit stylischer Maske

Mein Hauptgrund herzukommen ist ja meist, ein paar vorher schon ausgesuchte Bücher zu erwerben und jede Menge Fotos von Buchschaffenden zu knipsen, die ich dann im Fantasyguide verwenden kann. Leider bin ich dann immer sehr schüchtern und trau mich kaum, den Fotoapparat zu zücken. Zu Hause ärgere ich mich dann über schlechte Bilder oder die verpasste Gelegenheit, die Namen der Leute auf den Fotos zu ermitteln. Aber das geht mir jedes Mal so und dennoch gibt es immer wieder geschlossene Lücken. Die Fotos des Jahrgangs 2021 werden dann auch vielleicht und hoffentlich mal etwas Besonderes sein, denn es sind Maskenfotos. Viele Anwesende ließen auch am Stand die Maske auf und das hat einen eigenen Reiz.

Ju Honisch

Aber ich hab natürlich dann doch ein paar Menschen angesprochen. Als erste begrüßte ich Ju Honisch, die ich seit Jahren immer wieder auf Events sehe und die mir einst Molo ans Herz legte. Zwar wurde ich mit ihrem Roman »Das Osidianherz«, der damals den DPP gewann, nicht warm, aber Ju ist einfach super nett und wir plauderten kurz. Dabei fielen mir die Dicke ihrer Werke auf, die sie dank Corona im Selbstverlag herausbringt, und sie präsentierte mir extra für diese Wälzer einen Waffenschein. Aber ich sag euch: Lest lieber ihre Bücher anstatt sie auf Elfen zu werfen.

Gleich daneben musste ich dann aber zuschlagen, denn der neue Roman von Swantje Niemann, »Das Buch der Augen«, ist jüngst in der Edition Roter Drache erschienen und ein Pflichtkauf. Ihre »Drúdir«-Trilogie gefiel mir sehr, handelt ja auch von einem Zwerg, zudem sah ich die Autorin auf diversen Lesungen, Cons und während ihrer Praktikumszeit im Periplaneta Verlag, der leider nicht dabei war, wie so viele.

Torsten Low (links)

Auch von Torsten Low musste ich ein Buch erwerben, denn von meinem alten Fantasyguide-Mitstreiter Holger M. Pohl erschien dort die bitterböse Branchensatire »Die Leiden des jungen Verlegers«, kurz Verlegerleiden, dass er selbst noch gar nicht in den Händen hielt, weil der bissige Verleger das wohl irgendwie vergaß. Aber Tina und Torsten erzählten von ihrem Corona-Blues und dem krassen Umstieg nach einem Jahr zurück ins Messe-Geschehen. Vor allem sei ihre Kälteresistenz abhanden gekommen, die sie sich in vielen Übernachtungen im Auto erworben hatten. Aber sie schienen mir sehr glücklich zu sein, wieder Bücher in Kisten zu packen und unter die Leute bringen zu können.

BenSwerk

Viele schöne Cover und Bücher weiter kam ich zu benSwerk, bei der ich eine Troll-Neuausgabe signieren ließ – ich mag ihre grafischen und zeichnerischen Arbeiten sehr, ihre Kreativität ist bewundernswert und ich erfreue mich eigentlich immer daran, wenn ich Bücher in den Händen halte, an denen sie mitwirkte.

Links daneben gab’s den Stand des Hirnkost Verlages, wo ich die großartige Anthologie »Am Anfang war das Bild« erwarb. Auf den Geschmack kam ich durch die jüngste Talkien-Ausgabe, in der die Beteiligten zu Wort kamen und man Eindrücke der Bilder gewinnen konnte, um die sich die SF-Geschichten drehen. Liegt jetzt es auf dem SUB recht weit oben.

Claudia Rapp und Hardy Kettlitz

Auf der anderen Seite von benSwerk erstreckten sich die Stände von Bernhard Kempen und Memoranda. Da ich quasi bereits das aktuelle Programm von Hardy Kettlitz’ Verlag in der Woche davor erworben hatte, machte ich nur Fotos und es traf sich ganz gut, dass Claudia Rapp zugegen war, denn so konnte sie mir einiges zum Metropol Con erzählen, der übernächstes Jahr, vom 28.–30.04. in Berlin, stattfinden wird; so Corona will. Ich muss da hin. Mit Claudia zu quatschen ist immer ein Vergnügen, sie ist eine begeisterte Phantastikerin, weitgereist und hat Superkräfte.

Liebe ist ein großes Buchthema

Ich zog dann noch die Stände auf und ab, bekam ein Regenbogenfähnchen und die Gelegenheit, ein paar der Autor·innen zu sehen, deren Werke in jüngster Zeit im Fantasyguide rezensiert wurden. Und die sehe ich tatsächlich eigentlich nur auf dieser kleinen, gemütlichen und queeren Messe.

Glücklich und Bücher-schwer zog ich von dannen.

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