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Die Fragmentierung der Zukunft

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Ulrich Holbein – Knallmasse

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Seit meinem allerersten Besuch einer Bibliothek bin ich Science-Fiction-Leser. Das SF-Regal dort fasste nur wenige Reihen und es fanden sich hauptsächlich Werke von Lem, sowjetischen und DDR-Autoren. Autorinnen konnte man an einer Hand abzählen, vermutlich nur Johanna Braun und Angela Steinmüller.
Der erste Schwung Bücher, den ich damals auslieh, enthielt Mutanten auf Andromeda von Klaus Frühauf. Es muss so um 1980 gewesen sein und die Gefahr nuklearer Verseuchung spielte eine gewisse Rolle selbst im Denken der DDR. Ich war sofort hin und weg.

Gerade erst hat der alte Genre-Grummler Michael K. Iwoleit in seinem Essay Die neue Annäherung von Science Fiction und Literatur wieder einmal gemahnt, dass originäre deutsche SF droht, sich selbst ins Abseits zu stellen. Zum einen, weil sie literarisch beliebig daherkommt und zum anderen, weil sie auch thematisch wenig vorzuweisen hat.
Das Kernstück dieser Mahnung lautet:

Andererseits werden immer noch viel zu viele Autoren publiziert, die meinen, daß es für einen SF-Autor ausreicht, sich nur für SF zu interessieren und nur SF zu lesen. Immer noch sind viele SF-Macher außerstande, Ideen und Anregungen von außerhalb der SF-Szene aufzunehmen, an Kultur und Literatur im weiteren Sinne teilzuhaben. Immer noch ahmen zu viele Neulinge die Untugenden schlechter amerikanischer Vorbilder so besinnungslos nach, als ob die gesamte dezidierte SF-Kritik der Sechziger- bis Achtzigerjahre, die Auseinandersetzung mit Klischees und Versatzstücken in zahlreichen Jahrgängen der Science Fiction Times oder des Science Fiction Jahrs völlig an ihnen vorbeigegangen ist. Die SF-Szene läuft Gefahr, auf lange Sicht genau dort zu landen, wo in den Achtzigerjahren das literarische Establishment gestanden hat: in der Ecke der langweiligen, rückständigen Spießer.

Von der im Wurdack Verlag gestarteten Reihe Die neunte Expansion hatte ich mir bei ihrem Start versprochen, das hier frischer Wind ins Genre kommt. Inzwischen ist Band 9 erschienen und leider zerbröselt der Traum von spannender SF immer mehr.
Vielleicht liegt es an der zunehmenden Fragmentierung des Handlungsbogens in immer mehr Untergeschichten. In Summe aber fehlt der gesamten Reihe ein Thema, ein Ziel, dass sie über eine x-beliebige Abenteuergeschichte hinaus erhebt. Der Minimal-Anspruch, der Unterhaltung zu dienen, wird durch das Wiederkauen sattsam bekannter Motive verfehlt.
D9E hätte das Flaggschiff neuer deutscher SF werden können. Nein, sogar müssen, denn sie bindet das kreative Potential begabter Genre-AutorInnen, um tatsächlich nichts weiter als spießigen Mainstream zu produzieren.
Der einst für seine Kurzgeschichten-Anthologien berühmte Verlag betoniert eine ganze Generation von SF-Schaffenden in eine Mauer aus bezahlter Gemütlichkeit ein.
Das ist für einen Fan mehr als frustrierend und verspricht wenig Gutes für die frisch gestartete eBook-Reihe Biom Alpha.

Doch der Vollständigkeit halber der Verweis auf meine Rezi zu Der sensationelle Gonwik von Dirk van den Boom


15 Kommentare

  1. texte-jon sagt:

    Ich befürchte, dass die Reihen-Sucht, die in der SF schon lange Heimat hat, inzwischen aber – auch außerhalb – fast zu einem Massen-Phänomen geworden ist, der Qualität nicht gut tut. Zu sehr muss dabei auf den steten Nachschub neuer Teile sowie eine permanente Erneuerungsrate (neue Konflikte, neue Figuren – neue Spannung eben) geachtet werden. Da bewegt sowas schnell auf Groschenheft-Niveau zu – erzählhandwerklich vielleicht top, inhaltlich aber nur noch ein Muster-Abspulen.

    Außerdem verleitet das dazu, die spezifischen Reihen-Elemente bzw. dann außerhalb die SF-Elemente so zu verankern, als seien sie Allgemeinwissen – was innerhalb des SF-Fandoms ja stimmt, aber den Zugang von außen extrem erschwert. Nicht, dass dieses Verankern per se schlecht wäre – Genres funktionieren nun mal so –, es geht aber vielleicht zu viel Fähigkeit zur Loslösung und Neu-Schaffung verloren.

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  2. Der Link zur Diboo-Rezi funzt irgendwie grad nicht nicht – ist der Fantasyguide heute generell nicht erreichbar?
    Hatte die Rezi aber schon entdeckt – die klingt positiver als dein Fazit zu D9E. 😉

    Mit einer Serie das Rad neu erfinden – puh, schwer. Klar kann man nach Ideen suchen, die nicht schon mal da waren, aber man landet dann schnell bei Themen und Plots, die (vermutlich oder durch Versuch gesichert) nur eine geringe Zahl an Lesern interessieren. Manches, was wirklich neu ist oder wäre, ist ja nicht unbedingt deswegen neu, weil noch niemand darauf gekommen ist, sondern weil die, die bisher darauf kamen, die Finger davon gelassen haben. Andererseits muss es natürlich der Anspruch sein, Elemente reinzubringen, die dem Leser – oder Fernsehseriengucker – nicht schon zigmal vorgesetzt wurden,klar.

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  3. Es ist eine Gratwanderung: Wie innovativ, wie neu darf etwas sein, um überhaupt noch eine relevante Menge an Lesern zu interssieren?
    Die SF – oder jedes andere Genre, ob Phantastik oder nicht – hat nichts davon, wenn das Neue so neu, so innovativ ist, das es nur ein paar Leser in ihren Elfenbeintürmen interessiert und diese in Jubel ausbrechen, den sonst niemand außer ihnen hört.
    Wie Christian sagt: Die Gefahr, sich in Themen und Plots zu verrennen, die außer ein paar Insidern niemanden interessieren, ist groß.
    Für mich hat dieses viel verlangte „Es muss die SF vorwärts bringen!“ eben mehrere Dimensionen. Die, dass es auch literarisch anspruchsvollere und auch von Nicht-SFlern anerkannte Werke geben muss, ist nur eine von mehreren.

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    • lapismont sagt:

      Ich sehe jedoch das Problem der Langeweile. SF ohne Innovationen, gar nicht einmal literarisch, sondern von den Stoffen und ihrer Bearbeitung her, ist nur halbgares Fastfood. Diese Gefahr sehe ich in D9E. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

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      • Solange diejenigen, die eigentlich SF schreiben (oder herausbringen), nicht dazu stehen, dass sie das tun, sondern stattdessen lieber (weil es ja geschäftsschädigend oder ähnliches wäre) unter einem anderen oder besser noch unter gar keinem Label veröffentlichen, solange erwarte ich nicht, dass sich am Image des Labels „SF“ auch großartig etwas ändert.
        Ich muss aber auch zugeben, dass ich solche Leute nicht unbedingt für prädestiniert erachte, über das Label „SF“ zu urteilen oder zu schwadronieren.

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      • lapismont sagt:

        Besser seine SF nicht zu labeln, als beliebige Dutzendware als solche zu verkaufen. :p

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      • Ich kriege die Antwort nicht weiter runter 🙂 …:

        Du hast Recht. Vielleicht sollte man dann auch Metzgern und VW empfehlen, ihre Waren nicht mehr zu labeln. Metzger umgehen die unseligen Diskussionen, ob Ihr Fleisch nun Östrogenfrei ist oder nicht. Sollen sie einfach Lebensmittel verkaufen.
        Und VW sollte als Firma auftreten, die Autos verkauft. Einfach das Logo VW durch AUTO ersetzen.

        Es wird bei SF so viel oder so wenig Dutzendware geben, wie in jedem anderen Genre auch. Dennoch ist es SF. Und man sollte sich auch mal die Frage stellen: Würden manche Verlage, manche Autoren ihre Werke als SF labeln – würde dann nicht der eine oder andere Leser auf die Idee kommen zu sagen: „Ach, das ist SF? Interessant! Muss mich bei bei der SF umschauen. Habe ich bisher gar nicht auf dem Schirm gehabt!“

        Wir dürfen eben nicht davon ausgehen, dass wir, die wir uns Insider nennen, für die Masse der Leser stehen. Es soll sehr viele Leute geben, die SF lesen (und lesen wollen), ohne irgendeiner Community, einem Forum anzugehören. Die nicht auf Cons gehen.

        Die einfach nur Leser sind.

        Mag sein, dass es nicht repräsentativ ist. Nein, es ist sicher nicht repräsentativ, aber: ARKLAND ist Fantasy. Kollegen von mir, die bislang nie Fantasy gelesen haben, haben es aber mir zuliebe gekauft. Es hat ihnen gefallen. Und zwei haben sich mittlerweile auch weitere Fantasy gekauft. Warum? Weil sie Fantasy bislang nicht auf dem Schirm hatten. War nicht ihre Domäne. Ist sie jetzt auch noch nicht. Aber sie können nun im Buchladen (oder online) nach Fantasy suchen. So sie denn so gelabelt wird. Das sind keine Leser, die so tief drin sind wie wir.

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      • lapismont sagt:

        Mich stört ungelabelte SF gar nicht so sehr, weil man irgendwie doch seine Bücher findet. Ich suche ja nie explizit nach SF, sondern nach Phantastik und kommentierten, vollständigen Klassiker-Ausgaben.
        Beides steht auch eher selten auf den Covern.
        Vielleicht würde sich mancher Verlag trauen, SF auf ein Buch zu drucken, wenn man dann im Regal neben herausragenden SF-Werken der Genre-Verlage stünde. So etwas ist im Otherland einfach. Bei Thalia nicht.

        Manchmal sind eben nicht nur die anderen oder Familienväter Schuld. 😀

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  4. Columbus sagt:

    Die Bezeichnung „alter Genre-Grummler“ für Michael K. Iwoleit ist eine sehr nette Bezeichnung.

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  5. Ich kenne diese SF-Romanserie gar nicht (D9E), außer dadurch, dass sie immer wieder mal erwähnt wird. Ehrlich gesagt: Reizt mich nicht, genau deshalb, weil ich Beliebigkeit befürchte. Bin halt einfach kein Serien-Fan, das wird nix…
    Du selber, Ralph, zeigst aber, dass es sich nicht widersprechen muss: Man kann als SF-Fan beides: SF-Serien UND innovative, abseitige (vom SF-Mainstream aus gesehen) Werke genießen.
    Ich denke, von dieser Gattung SF-Fan gibt es weit mehr als Michael Iwoleit glaubt (bzw. als ich glaube, dass er es glaubt).

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  6. […] liegt das letzte näher, wie ich schon ausführte. Im Zuge dessen orderte ich endlich einmal ein Buch bei Dieter von Reeken, nämlich den just […]

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