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Blutige Schneide oder die Sorgen einer Waffe nach der Tat

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Meine erste Begegnung mit Thomas Pynchon fand vor einigen Jahren statt, als ich begann, in die Blogosphäre einzutauchen. Als beeindruckendstes Beispiel musste damals Alexander Müllers Molochronik gelten. Verspielt, aber hochintelligent und breit fabulierend stellte Molo phantastische Werke vor und von seiner Begeisterung für Gegen den Tag war ich sofort angefixt. Selbst dieses Wort »anfixen«, habe ich von Molo übernommen.
Denn tatsächlich ist das Lesen ganz besonderer Bücher wie eine rauschhafte Sucht. Das Lesen von Gegen den Tag war eine leidvolle Lust, Bleeding Edge las sich deutlich einfacher, jedoch nicht weniger süffig.

Bleeding Edge von Thomas PynchonBleeding Edge von Thomas Pynchon

Pynchon schreibt mit über Siebzig von technischen Entwicklungen, denen ich als Mittvierziger bereits hinterherzuhinken beginne und das auch noch mit einer Leichtigkeit, die einfach nur irrwitzig ist. Natürlich kann es sein, dass er mit Hilfe großer Intelligenz in der Lage ist selbst jene Dinge sinnvoll in seinen Roman einzubetten, von den er weniger versteht, aber es fühlt sich nie wie ein Blenden an.

Ich habe dieses Bild im Kopf, dass da ein fröhlicher Greis am Strand kniet und begeistert den Sand durch die Finger rieseln lässt und mit jeder neuen Handvoll kommen Erinnerungen wie Muschelscherben ans gleißende Sonnenlicht.

Das Jahr 2001 liegt noch gar nicht so lange zurück. Der Anschlag auf das World Trade Center macht dieses Jahr an sich schon unvergesslich, selbst ich habe ganz klare Erinnerungen an diesen einen Tag. Zu keinem anderen Datum in diesem Jahr könnte ich auf Anhieb sagen, was ich dachte oder tat.
Erst recht weiß ich nicht mehr exakt, wie mein Computer aussah, welches Spiel ich gerade zockte, nicht einmal die Bücher dieses Jahres weiß ich mehr, weil ich mir damals darüber noch keine Notizen machte. Viele Dinge, die einem selbstverständlich sind, macht man irgendwann nicht mehr und vergisst nach einiger Zeit, dass sie einmal einen bestimmten Teil des Tagesablaufs ausmachten.

Pynchon holt ganz viele dieser kleinen Dinge wieder hervor. Es ist nicht wie eine typische historische Abhandlung, die sich auf Benennung von Fakten beschränkt, nein, Pynchon stürzt einen mitten hinein in das sich völlig echt anfühlende 2001 und dabei kenne ich den Großteil der New Yorker Plätze gar nicht, von Klamotten und Speisen ganz abgesehen.
Ich war 1997 für drei Tage in Manhattan, was geradezu mit Blindheit gleichzusetzen ist.
Bleeding Edge ist wie das fehlende Stück Erinnerung, das man auf die Hirnfestplatte hochlädt und danach erst wieder weiß, was einem bislang gar nicht fehlte.

Was aber noch viel cooler ist, als das ganze Namedropping und Technikrevival: Pynchon stellt ziemlich agile und selbstbewusste Frauen in die erste Reihe seiner Figuren. Wenn ichs nicht besser wüsste, würde ich sagen, er beschreibt eine typische DDR-Frau. Die Ähnlichkeiten zu Laura aus Amanda sind frappierend.
Im gewalttätigen Wahnsinn männlicher Weltenlenkung managt Maxine ihre Betrugsermittlungen, die Erziehung des Nachwuchses, die Reintegration des Exmannes in die Familie, tödliche Bedrohungen, Libidoforderungen, Probleme der Freundinnen, Probleme der Freunde der Freundinnen oder deren Kinder, Einkäufe, Essen und natürlich New York.
Spannend, witzig und rasant, jedoch nicht ganz so phantastisch wie Gegen den Tag. Und es bringt auch nichts in mir so zum Schwingen, dass sich ein Gedicht daraus entwickelt.

Meine Rezension im Fantasyguide: Bleeding Edge von Thomas Pynchon

Mit Bleeding Edge habe ich nun alle Bücher gelesen, die der Weihnachtsmann besorgte, passiert mir auch nicht jedes Jahr. Folgen die Geburtstagsgeschenke und auch hier werde ich den USA erst einmal treu bleiben, es steht der erste Teil der Mark Twain Autobiografie auf dem Plan. Vorher jedoch noch Rezensionsbücher, darunter Die Hugo Awards 1953−1984 von Hardy Kettlitz.


6 Kommentare

  1. Du hast es geschafft: Das Buch muss ich haben! Das Letzte, das ich von Pynchon gelesen habe, war „Vineland“, und das war hammergut.

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  2. molosovsky sagt:

    Wow. Vielen Dank für die netten Worte zu meiner ATD-Rezension!

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